P. Vergilii Maronis Eclogam IV
silvas consule Pollio dignas notis explicui
Manfred Erren professor
Friburgensis emeritus
anno Domini MMXIII.
Sicelides
Musae1, paulo
maiora2 canamus!
non
omnis arbusta iuvant humilesque myricae;
si
canimus silvas3, silvae sint consule
dignae.
Ultima
Cumaei venit iam carminis aetas4:
5 magnus
ab integro saeclorum nascitur5 ordo6,
iam
redit et virgo7, redeunt Saturnia
regna8,
iam
nova progenies9 caelo demittitur alto.
tu
modo10 nascenti puero11,
quo12 ferrea primum
desinet
ac toto surget gens aurea mundo,
10 casta
fove Lucina: tuus iam regnat Apollo13.
teque
adeo decus hoc aevi, te consule14,
inibit,
Pollio,
et incipient magni procedere menses15;
te
duce, si qua manent sceleris vestigia nostri16,
inrita17
perpetua solvent formidine terras.
15 ille18
deum vitam accipiet19 divisque
videbit20
permixtos
heroas et ipse videbitur illis,
pacatumque
reget patriis virtutibus21 orbem.
At
tibi22 prima, puer,
nullo munuscula cultu
errantis
hederas passim cum baccare tellus
20 mixtaque
ridenti colocasia fundet acantho23.
ipsae
lacte domum referent distenta capellae24
ubera,
nec magnos metuent armenta leones;
ipsa
tibi blandos fundent cunabula flores,
occidet
et serpens, et fallax herba veneni
25 occidet;
Assyrium vulgo nascetur amomum25.
at
simul heroum laudes et facta parentis
iam
legere et quae sit poteris26
cognoscere virtus,
molli
paulatim flavescet campus arista
incultisque
rubens pendebit sentibus uva
30 et
durae quercus sudabunt roscida mella.
pauca
tamen suberunt priscae vestigia fraudis27,
quae
temptare Thetim ratibus, quae cingere muris
oppida,
quae iubeant telluri infindere sulcos.
alter28
erit tum Tiphys et altera quae vehat Argo
35 delectos
Heroas; erunt etiam altera bella
atque
iterum ad Troiam magnus mittetur Achilles,
hinc29,
ubi iam firmata30 virum te
fecerit aetas,
cedet31
et ipse mari vector, nec nautica pinus
mutabit
merces; omnis feret omnia tellus32.
40 non
rastros patietur33 humus, non vinea
falcem;
robustus
quoque iam tauris iuga solvet arator34.
nec
varios discet mentiri35 lana colores,
ipse
sed in pratis aries36 iam suave
rubenti
murice,
iam croceo mutabit vellera luto;
45 sponte37
sua sandyx pascentis vestiet agnos
"Talia
saecla" suis dixerunt38 "currite"
fusis
concordes
stabili fatorum numine Parcae.
adgredere
o magnos (aderit iam tempus39)
honores40,
cara
deum suboles, magnum Iovis incrementum41
50 aspice
convexo nutantem pondere mundum42
terrasque43
tractusque maris caelumque profundum;
aspice,
venturo laetentur ut omnia saeclo44!
o
mihi tum45 longae46
maneat pars ultima vitae,
spiritus
et quantum sat erit tua dicere facta
55 non
me carminibus47 vincet nec Thracius Orpheus
nec
Linus, huic mater quamvis atque huic pater adsit,
Orphei
Calliopea, Lino formosus Apollo.
Pan
etiam48, Arcadia mecum si iudice certet,
Pan
etiam Arcadia dicat se iudice victum.
60 Incipe,
parve puer, risu cognoscere matrem
(matri
longa decem tulerunt fastidia menses)
incipe,
parve puer: qui non risere parenti,
nec
deus hunc mensa, dea nec dignata cubili est49.
Notae
(1) Sicelides
Musae...canamus (V.1): Der Dichter tritt
als Bukoliker, d.h. für die Phantasie vor idyllischer
Landschaftskulisse in der Maske eines Viehhirten auf und ruft für
sein "Lied" die speziellen "sizilischen" Musen
(d.h. die Musen Theokrits) an für einen wichtigeren Vortrag als
den letzten (paulo maiora), der wie gewöhnlich arbusta
(Obstplantagen) und niedrige myricae (Blumenbeete) zum
Gegenstand hatte (V.2), die aber nicht für jedes Publikum gut genug
sind. Mit diesem "Zeug" (silvas) kann man ja nicht
jedem imponieren. (Ein kleines Gehölz gehört zu jeder Villa, weil
sie der Gerätewerkstatt das nötige Holzmaterial liefert, aus
dem man etwas für Stall und Schuppen zurechtmacht. Gehölze gehören
also zum Bühnenbild des Gedichts, dem sog. "Idyll",
"Bildchen". Solche Bildchen sind die Inszenierung der
poetischen Pseudo-Viehhirten-Gesellschaft, die einander mit
pseudoproletarischen Gelegenheitsgedichten unterhalten und wie
mit Ständchen beehren. Diese silvae sind aber nicht der
eigentliche Inhalt des jeweiligen Gesangs, sondern das für
denselben phantasierte Bühnenbild mit den dazu verfügbaren
Kulissen und Requisiten; das Ganze das Spielfeld der sich
aufspielenden Dichtergesellschaft. Man spricht in der Fach-literatur
auch von "Bukolischer Maskerade". Ich nenne die Requisiten
des einzelnen Idylls, wegen der darin verteilten Ehrenzeichen,
"bukolische Heraldik". Vers 3 heißt, in die
zentraleuropäische Hirtenlyrik der bairischen Alpen übersetzt,
etwa: Wemma hoit sizilische Hüatabuam san, un Hüatabuamzeig mian
jodln, miama diesmoi, wo an Freindl Konsul is woan, konsularisches
Zeig zammodln. (Wenn wir halt sizilische Hütebuben sind und
Hütebubenzeug jodeln müssen, müssen wir diesmal, wo ein Freund
Konsul geworden ist, konsularisches Zeug zusammenmodellieren.)
Pollio, der in V.12 als Empfänger des Ständchens angeredet wird,
ist nämlich im Jahr der IV.Ekloge, 41 a.C.n., für das Jahr 40
a.C.n. zum Konsul gewählt worden.
(2) paulo
maiora (V.1):
Der Gegenstand dieses Idylls soll ein wenig bedeutender sein als in
dem Idyll von Menalcas, Damoetas und Palaemon (E.3,84-89), in dem
Pollio als Dichterkollege gelobt wurde: Pollio amat nostram Musam;
Pollio et ipse facit nova carmina. Pollios
Sieg in der Konsulwahl von 40 v.Chr. ist schon etwas Größeres.
(3) Zur
Übersetzung von V.3 ins Bairische war mir
Langenscheidts Lilliput von Karl Georg Kleinmayer, München 1999 eine
willkommene Hilfe.
(4) Aber das
eigentlich Wichtige dieses Idylls ist das neue Orakel der Sibylle von
Cumae: ultima Cumaei venit iam carminis aetas (V.4):
Das Lied der Sibylle von Cumae ist zu seinem letzten
"Lebensalter" gekommen! Wenn das Lied der Sibylle von Cumae
im Jahr 41 Stadtgespräch war, hatte man es in einem der
Sibyllinischen Bücher gefunden, die im Jahr 44 anläßlich der
Ermordung Caesars und der erschreckenden Erscheinung eines Kometen
vom Senat konsultiert worden sind. Wie wir hier erfahren, enthielt es
die Vorhersage, daß bald ein größerer Epochenzyklus an seinem
Ende angekommen sei und von vorn anfange. Da aber ein anderer großer
Epochenzyklus als der der Weltgeschichte Hesiods nicht allgemein
bekannt war – wer wird schon an das Große Jahr der Planeten denken
oder an Platons Politikos 271ff. –, konnten weder die
pseudoproletarischen Hirten Siziliens noch die
ptolemäisch-alexandrinisch gebildeten Römer der Zeit nach 44 v.Chr.
den sibyllinichen Spruch anders deuten als so, daß die Bürgerkriege
bald überstanden sein werden und eine neue saturnische, d.h. in
Frieden von der Fruchtbarkeit der Pflanzen- und der Tierwelt lebende,
von väterlichen Göttern liebevoll regierte Zeit anbrechen wird. Es
kam ja damals tatsächlich eine umfassende Verwandlung der
politischen Verhältnisse, und zwar die von den Triumviraten und
ihren Bürgerkriegen herbeigeführte Verwandlung der republikanisch
verfaßten Stadtstaaten in theokratische Despotien, die von den
Bürgern Roms und der italischen Gebiete zunächst als Rettung und
Befreiung erlebt wurde. Eine paradiesähnliche Goldene Zeit im
Hesiodischen Stil wurde es allerdings nicht, und auch sonst ging das
Orakel auf keine erwartete Weise in Erfüllung. Auch der Vergleich
der Wiege des Neugeborenen in V.23 mit der Krippe im Stall von
Bethlehem und der munuscula
von V.18 mit den Geschenken der Hirten und der heiligen Drei
Könige läßt sich über V.25 hinaus nicht plausibel auf
ganze Ekloge anwenden. Asiinius Pollio paßt schon gar nicht ins
Lukas-Evangelium.
(5) magnus
saeclorum ordo
(V.5): Es handelt sich für Vergil auch nicht um
abgezählte Jahrhunderte, mit welchen im Altertum niemand eine
Ära ausmaß, sondern um die Reihe der archäologischen Metallzeiten,
in die schon Hesiod in seinem Lehrgedicht von den "Werken und
Tagen" die Menschheitsgeschichte eingeteilt hat, wie es die
Archäologen der europäischen Vorgeschichte mit den Namen
"Bronzezeit" und "Eisenzeit" heute noch tun.
Daneben kannte Hesiod auch vom babylonischen "Sukzessionsmythos"
die Zeitteilung nach Regierungszeiten der ältesten Götter,
deren Reihe mit Kronos = Saturn anfängt.
(6) ab
integro nascitur
(V.5): Die ganze Reihe wird von vorn an "neu
geboren", kann also nur ein lebendes Individuum, ein Mensch
sein. Dieser erscheint als Allegorie für ein Zeitalter, und dessen
verschiedene Epochen erscheinen als Wachstums-, Entwicklungs-, Reife-
und Erlebensstufen eines allegorischen Knaben, und dessen Leben
bestimmt und gliedert die Gestalt des ganzen Gedichts. Wie im
Kinderlied die Vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und
Winter vier Kinder der einen Sonne genannt werden, so erscheinen in
Vergils Vierter Ekloge die fünf Menschengeschlechter Goldene,
Silberne, Eherne, Heroische, Eiserne Menschen zusammen als die
Runde des Weltalter-Reigens, der nach dem Spruch der Sibylle im Jahr
40, dem Konsulatsjahr des Asinius Pollio, vier Jahre nach dem Tod
Caesars und zwei Jahre nach dem Tod der Caesarmörder bei Philippi,
die zunächst noch laufende Eiserne Zeit abschließen und eine neue
mit einer Goldenen wieder von vorn anfangen werde. Daß dies so
kommen werde, muß man einem Buch der mutmaßlichen Sibylle von
Cumae im Jahr 41 a.C.n. mehr oder weniger ernsthaft entnommen
haben. Aber Vergil führt die Allegorie nicht einheitlich bis zum
Schluß des Gedichts durch. Der Knabe steht in der Vierten Ekloge
zunächst für den ganzen großen Saeculorum Ordo, später
jedoch für wechselnde Zeitalter, Goldene und Silberne und Heroische,
und zuletzt nur noch für ein einziges sterbliches Individuum.
(7) virgo
= Astraea (V.6):
Die "Jungfrau" am Sternhimmel stammt eilgentlich von Zeus,
der sie den Menschen erst nach seinem Sieg über die Titanen gegeben
hat. Sie ist die Rechtspflege unter den Menschen, wenn sie sie nicht
ehren, geht es ihnen schlecht. Das hat erst Hesiod Op.109-273
beschrieben (er nennt sie V.256 Δικη, Recht).
Zum Sternbild wurde sie aber bei Arat V.97 (Παρθενος,
Jungfrau, 105 Tochter des Αστραιος,
Sternklar) und Ovid Met.1,89-112
(149f. Virgo Astraea), weil sie in der Eisernen Zeit die Menschen
endgültig verließ und an den Himmel stieg. Unter Saturn kamen die
die Menschen gut milt ihr aus, sie waren ja auch aus Gold und absolut
sorglos, litten weder unter Krankheiten noch brauchten sie Besitz.
Nachdem aber die späteren Menschen, zuletzt die Eisernen, so böse
geworden waren, stieg sie auf in den Sternhimmel, wo sie zum Zeichen
des Monats Sextilis, später des Monats Augustus wurde. So wie unter Saturn wird es
aber, orakelt Vergil, im neuen Kreislauf unter Pollios Konsulat
wieder werden. Die Sibylle von Cumae hat das gesagt, also kann dann
auch die Jungfrau wieder zurückkehren. Ihre Rückkehr vom
Sternhimmel auf die Erde zu den neuen Goldenen n bedeutet,
modern gesprochen, Wiederaufbau eines naiven Rechtsstaats, einer
ohne positive Gesetze spontan wohlgeordneten Menschengesellschaft.
Das Sternbild ist freilich am Himmel geblieben.
(8) saturnia
regna (V.6):
Die Regierungszeit des Titanen Kronos = Saturn im Olymp darf nicht
mit Saturns Exilregierung in Latium verwechselt werden. Die war viel
später und regierte nur das kleine Latium. (Vgl. Aen.8,314-336.)
(9) nova
progenies caelo demittitur (V.7):
Dieses neue Goldene Menschengeschlecht wird wie das erste für
seine Zeitenrunde nicht geboren, sondern wie das der ersten
Runde von den Olympischen Göttern erschaffen und vom Himmel herab
auf die Erde geschickt.
(10) tu
modo...casta fove Lucina
(V.8): Die keusche Lucina, d. i. Diana in ihrer
Eigenschaft als Hebamme, soll den Jungen hegen und pflegen. Eine
amtlich dokumentierte Mutter hat er nicht, einen Vater auch nicht, er
ist eine von Apoll inspirierte Allegorie, eine Ballettfigur. Sie wird
"geboren", d.h. erscheint dann wenn und dort wo der Reigen
sich in die neue Runde bewegt, und die Weltgeschichte von einer Zeit
in die andere tritt.
(11) ferrea
primum desinet...gens
(V.8): Die Geburt des Knaben ist der Punkt, wo das
Menschengeschlecht aufhört, aus Eisen zu sein und anfängt, aus Gold
zu sein. Wie die Götter das choreographisch zum Ausdruck bringen,
bleibt der Erfindungsgabe des mit der Inszenierung betrauten
Tanzmeisters überlassen. Apoll wird ihn inspirieren.
(12) surget
gens aurea (V.9):
Ein Goldenes Geschlecht wird heraufwachsen; toto mundo
9: Auf der ganzen Welt. Überall gleichzeitig. Apoll regiert
"ab integro" auf der ganzen Erde, sowohl über
die eisernen Menschen, die noch da sind, als auch über die
goldenen, die bei der Geburt des Knaben, beim ersten Schritt in
der neuen Runde, auftreten werden.
(13) tuus
iam regnat Apollo
(V.10): Apollo ist Bruder der Diana und regiert
bereits. Das kann aber keine neue Weltregierung sein, die eine
Saturnische oder Joviale ablöst - eine solche hat im
hesiodisch-aratisch-ovidischen Weltalterreigen keinen Platz -; Apoll
wirkt auf seine eigene Art mit und bestimmt in der Regie des Reigens
allenfalls ein Interregnum, das den Übergang aus der ersten in die
zweite Runde dirigiert. Man darf ihn als Gestalter des neuen Magnus
Ordo ansehen.
(14) decus
hoc aevi (V.11):
= hoc aevo decoro, mit Beziehungsumkehr, so auch te consule inibit für tu consulatum inibis:
In diesem schönen Zeitalter wirst du, Pollio, dein Konsulat
antreten". Im Jahr 40. (S. zu Asinius Pollio 1, maiora.)
Vergil und sein Bukolikerfreund Pollio (vgl. E.3,84-89) dürften
das cumäisch-sibyllinische Orakel als eine Angelegenheit des
Orakel- und Dichtergottes Apollo angesehen haben, und diese als eine
bukolische "silva", so wie die Herrschaft des
iuvenis in E.1,42-45, die unglückliche Verliebtheit des
Corydon in E.2,1, die stoische Weltverwaltung Jupiters in
E.3,60, der Elegiker Gallus in 10,2ff u.a. "silvae"
waren. Deshalb gehe ich davon aus, daß es die Assonanz der beiden
Namen "Pollio" und "Apollo" gewesen
ist, die Vergil die Allegorie der Verse 11-63 inspiriert hat. Eines
echten sterblichen Sohnes des C. Asinius Cn. f. Pollio bedurfte es
nicht.
(15) magni
menses (V.12):
In dem sibyllinischen magnus ordo, der unter Pollios Konsulat
neu beginnt, zählt man die Monatstage nicht wie in den
Kalenderjahren des Pontifex Maximus; alles dauert viel länger.
(16) sceleris
vestigia nostri (V.13):
Vestigia steht euphemistisch für damna, nostri für
die noch andauernde Eiserne Zeit. Als Spuren ihres Verbrechens könnte
man neben den Menschenopfern und Sachschäden der Kriege auch schon
in Pollios Konsulatsjahr etwa die Vermögensbewegungen der
Proskriptionen der Triumvirn ansehen. Vergil könnte dabei auch den
Tod Ciceros im Sinn gehabt haben. Pollio soll anfangs Parteigänger
des M. Antonius gewesen sein. Darf man aber den V.13 der IV. Ekloge so konkret verstehen? Kann te duce inrita meinen, daß
Pollio durch seine konsularische Gesetzgebung diese und andere Sachen
"wiedergutmachen" würde? Realistisicher wäre die Annahme,
daß solche Parteiangelegenheiten sicher nicht annulliert und
entschädigt, möglicherweise aber fair verschwiegen und nicht
mehr weiter verfolgt werden würden. Mehr "Irritation" der
"Unrechtsspuren" dürfte auch unter dem Alt-Antonianer
Asinius Pollio kaum zu hoffen gewesen sein.
(17) perpetua
solvent formidine terras
(V.14): Das kann betreffs der konkreten politischen
Verhältnisse höchstens gemeint haben, daß es in absehbarer Zukunft
keine Proskriptionen mehr geben würde. Aber solche politischen
Einzelheiten sind im Silva-Begriff der Bukolik immer den
Vorstellungen des angesprochenen Publikums überlassen.
(18) ille
(V.15):
Der "neugeborene Saeclorum Ordo" von V.5 besteht
grundsätzlich in nichts anderem als darin, daß der kommende
Weltalterreigen wieder, wie Hesiod das gezeigt hat, verschiedene
Menschengeschlechter mit verschiedenen Sitten und Schicksalen und
Schmuck- und Waffenindustrien an die Reihe kommen lassen wird.
(19) deum
vitam accipiet
(V.15): Das Goldene Zeitalter, das zuerst an die Reihe
kommt, empfängt Götterleben von den Göttern (vgl. Hesiod Op.112).
Es zeichnet sich aus durch festlichen Verlauf, stabile Gesundheit,
langes Leben und schmerzloses Entschlafen.
(20) divis
videbit permixtos heroas
(V.15): In den Festgesellschaften wird man mythische
Helden mit unsterblichen Göttern versammelt sehen. Nach Hes. op. 115
kommen als gemeinsamer Zeitvertreib nur Festmähler in Frage. Et
ipse videbitur illis: ...und wird selbst von ihnen gesehen und
anerkannt werden.
(21) pacatumque
reget patriis virtutibus orbem
(V.15): Der Reigen der Weltalter, der unter Apolls
Regie, Lucinas Segen und Pollios Konsulat wieder von vorn begonnen
hat, wird die verschiedenen Menschengeschlechter friedlich vereint
nach alter Vätersitte regieren. Die Väter werden dann wohl
nicht ausschließlich Menschen der Eisernen Zeit des überstandenen
letzten Zyklus gewesen sein, aber doch mit solchen vereint. Wer
könnte sonst wem gratulieren?
(22) at
tibi, puer (V.
18): Bei At macht der puer nascens den
ersten Schritt in der neuen Runde des Reigens. Wenn puer
der Reigen des Saeclorum Ordo ist,
ist puer nascens V.8 derselbe Reigen in dem Augenblick,
da er zum ersten Schritt der neuen Runde den Fuß hebt. Zu diesem
Schritt ruft der Dichter Lucina die Aufforderung zum Segen zu und
vergewissert sie des gegewärtigen Beistands ihres Bruders
Apoll; er verspricht dem Konsul Pollio die glücklichen
Ereignisse, die jetzt unter Apolls Regierung eintreten werden. Das
erste ist die Gratulationscour, die ihm jetzt Geburtsgeschenke
entgegenbringt.
(23) hederas,
cum baccare, colocasia, acanthus, flores
(V.18): hederae sind Epheuranken, baccar
ist keltischer Baldrian, colocasium indische Wasserrose,
acanthus ägyptischer Schotendorn (ein stilisierter Umriß
der Blüte erscheint als beliebtes ornamentales Reliefmotiv an
tausend Stellen), myrica Tamariske. Diese Blumen werden
natürlich nicht zum Fest aus fernen Ländern nach Rom oder Sizilien
geholt, sondern schmücken das Festgedicht verbal, egal wo man es
hört oder liest, mit bukolischer Heraldik. 18f. Nullo cultu
tellus fundet: Die Erde bringt die floristischen Prunkstücke
spontan und in Fülle hervor. Beschaffung durch menschliche Arbeit
ist nicht nötig; der Ordo Saeclorum bringt durch seinen
Schritt ins Goldene Zeitalter alles selbst hervor, ist alles selbst.
(24) ipsa
cunabula (V.23):
Man braucht diesen Vers nicht vor V. 21 ipsae capellae zu
versetzen, denn es gibt für Allegorien keine hölzernen oder
geflochtenen cunabula; wozu sollten sie auch dienen, wenn sie
gleich aus sich heraus ausgießen, was in ihnen drin ist? Im Ordo
Saeclorum sind die zärtlichen Blumen selber die Wiege des
Goldenen Menschengeschlechts, das ein Leben lebt wie es die
Götter haben, und sie bleiben was sie sind dort wo sie sind und
behalten, was sie haben. Die erste Epoche im heraldischen Bild des
Ordo Saeclorum (Epoche 2A
18-25) ist die "Wiege" des neugeborenen Knaben.
(25) amomum
(V.25): αμωμον "untadelig",
hier heraldische Qualitätsbezeichnung. S. zu acanthus usw. 18-20.
(26) simul
iam legere poteris
(V.27): Wenn du dann, herangewachsener Knabe
Saeclorum Ordo, schon lesen kannst und von den Leistungen
deiner Ahnen erfahren wirst. Die entsprechende Epoche
2B des neuen Weltalter-Reigens muß dann wohl Hesiods
Silbernes Geschlecht sein. Für dieses sind die menschlichen
Lebensbedingungen immer noch viel besser als in der Ehernen oder der
Heroischen Zeit, aber eben nicht mehr ganz so gut wie die der Goldenen.
molli paulatim flavescet campus arista 28:
Man braucht schon ein eigens bestelltes Feld, denn wenn es gelb
werden soll, müssen die Ähren vom wilden Gras getrennt für sich in
Furchen angesät sein. Sie werden nur langsam reif, man muß bis hoch
ins Frühjahr von der letztjährigen Ernte leben, also im letzten
Sommer geerntet und gespeichert haben. incultis sentibus uva
V.29: Die Trauben wachsen
in wildem Gestrüpp, also an vereinzelten Reben, müssen also zur
Lese zusammengesucht werden, das bringt nicht viel und nichts
sonnengereift Süßes. Quercus sudabunt mella V.30:
Ob quercus metonymisch für die darin wohnenden Bienen steht
oder für die Baumblätter und Baumrinde, mit und in denen die
Bienen gebaut haben, auf jeden Fall bleibt die Honigernte in dem
beschriebenen zweiten Kulturzeitalter eine schwierige, nicht
ungefährliche Arbeit. Mit dem Unterschied von Gold und Silber hat
das aber nichts zu tun, auch wenig mit bukolischer Heraldik. Es ist
vielmehr die Entwicklung der philosophischen Kulturentstehungslehre,
die von der Betrachtung der Metallurgie bei Hesiod bei Vergil zur
Betrachtung der Landwirtschaft fortgeschritten ist, die von dem
euhemeristischen Saturn in dessen italischem Exil bedeutende
Belehrung und Wegweisung erfahren hat, wie Vergil im VIII. Buch der
Aeneis ausführen wird. Schon die Vierte Ekloge
setzt bei Vergil diese Entwicklung voraus. Diese Epoche 2B des
neuen Saeculorum Ordo ohne Weiteres
nach heraldischen Indizien der Goldenen Zeit und einem
Geburtsdatum der Triumviratszeit zuzuordnen, wie es in
philologischen Kommentaren seit spätestens Augustinus bis in unsere
Tage geschieht, lenkt vom Text ab. Der herangewachsene Knabe Novus Saeculorum Ordo hat also in der Epoche
2B V. 26-30 seine Landwirtschaft auf eine neue, wesentlich verbesserte, aber noch nicht
rentable Entwicklungsstufe gehoben.
(27) vestigia
fraudis (V.31):
Vgl. V.13 über Pollios Konsulatsjahr. Auch diesmal stammen die
Spuren noch von der Eisernen Zeit des vorigen Kreislaufs. Damals
haben Lug und Trug die Menschheit genötigt, das Meer (repräsentiert
durch die Naiade Thetis) zu provozieren und die Städte mit den
Mauern und die Felder mit den Furchen zu versehen, die man auch in
der bevorstehenden Ehernen und der Heroenzeit des neuen Kreislaufs
als Spuren der Zeit des vorigen noch bestaunen wird. Man wird dann
auch die Parzen, die bei der Hochzeit von Peleus und Thetis
gesungen haben (Catul. 64,303-383), wieder singen hören, 46f. Der
Dichter deutet aber im neuen Kreislauf eine (dritte) Eherne [Epoche
2C 31-33], und (vierte) Heroische Zeit [Epoche
2D 34-36], die mit einer neuen (fünften) Eisernen [Epoche
2E 37-47] den Kreislauf wieder zu seinem Ende führen müssen,
nur mit jeweils wenigen Versen an, denn er will seine Glückwunschrede
gut ausgehen lassen. Deshalb hat er das hesiodische
Gliederungsprinzip seiner Glückwunschrede schon verlassen zugunsten des moderneren euhemeristischen, und verläßt nun alsbald auch dieses
zugunsten eines kallimacheischen, in dem die Geschichte so gut und
beseligend ausgeht, wie es sich für die Zukunft eines neugeborenen
Knaben gehört, auch wenn er nur eine Allegorie für einen
Weltalterzyklus ist.
(28) alter
Tiphys (V.34),
altera Argo, altera bella (V.35),
iterum magnus Achilles (V.36):
Das sind die Krieger und Waffen der neuen Ehernen Zeit. Tiphys
war der Steuermann der Argo, die neue Weltalter-Runde hat
in ihm ihren Seemann, in der neuen Argo ihr Schiff, und mit
diesen neuen Geräten und Erfindern wird es dann auch wieder neue
Heroen einer neuen Heroischen Zeit 2D geben. Die Menschheit
lernt dazu und entwickelt sich, wie unter Saturn, so jetzt unter
Apoll. Außer dem "zweiten Troianischen" wird es sicher in
der zweiten Weltalterrunde auch noch andere Kriege geben. Man sollte
nur die neuen Halbgötter nicht zu prompt hinter den alten herjagen
lassen; vielleicht entsprächen Alarich und Karl Martell den
Zeitvorstellungen der mutmaßlichen Sibylle von Cumae besser.
(29) hinc,
ubi iam (V.37):
Nach der bevorstehenden Heroenzeit 2D müßte, wenn wir noch in
Hesiods Zyklus wären, als fünfte wieder eine verdorbene Zeit
folgen. Es folgt aber im Gegenteil eine Rückkehr zu Glück und
Frieden, diesmal nicht zwischen Göttern und Menschen, sondern
zwischen Land und Wasser, Pflanzen und Tieren, und niemand leidet
mehr unter schwerer Arbeit. Die Schlußepoche
2E 37-47 des neuen Knabenzyklus ist kein verfluchtes Eisernes,
sondern ein neu gesegnetes, saturnisch Goldenes Zeitalter.
(30) ubi
iam firmata virum te fecerit aetas
(V.51): Beziehungsumkehr = ubi tu iam firma
aetate vir factus eris. Auf der fünften Reifestufe ist die
Allegorie des Pollio-Jahrgangs aus einem Knaben zum erwachsenen Mann
geworden und der neue Reigen der Jahrhunderte an seinem
Zielpunkt, also wieder am geometrischen Anfangspunkt angekommen. Aber
das ist kein Rückfall!
(31) cedet
et ipse mari vector
(V.38): Die Natur erreicht eine bemerkenswerte
Verbesserung dadurch, daß jeder Fleck Erde die gleichen Vorzüge
hat wie alle anderen Flecken Erde. Dann wird nämlich der Seefahrer
(vector 38) keine übermütige Erwerbs- und Erbeutungssucht
mehr brauchen, er kann vom Meer sicheren Abstand nehmen, nec
nautica pinus mutabit merces: Die Fichte wird nicht als
Schiffsmast dienen und die Erzeugnisse verschiedener Erdteile
als Waren gegeneinander austauschen müssen, was früher immer auch
in neues Unglück geführt hat (Hesiod op.618-694, Arat 282-299,
Hor.c.1,3).
(32) omnis
feret omnia tellus
(V.39):
Das ist das Erfolgsgeheimnis der neuen Goldenen Zeit, jede Erde
wird allen alles bringen, so daß Warentransport über Meer und
Märkte nicht mehr nötig sind.
(33) non
rastros patietur humus
(V.40): Die Erde der Baumpflanzung wird nicht mehr
gehackt, non vinea falcem: Das Laub der Reben muß nicht mehr
geschnitten werden. Weil jeder Erdklumpen die gleichen Fähigkeiten
hat wie alle anderen Erdklumpen, braucht man keinen zu bearbeiten, um
ihn zu verbessern.
(34) iuga
solvet arator
(V.41): Auch der Pflugstier wird das Joch nicht mehr
tragen müssen. Die ungepflügte Erde ist so fruchtbar wie die
gepflügte. Hacken und Schneiden wird nicht mehr nötig sein.
(35) ipse
sed aries (V.43):
Der Widder wird sein Vlies von sich aus in Purpur und Safran
verfärben. (Vgl. Ovid 1,111) Rubenti murice
(Purpurmuschel), croceo luto (safranfarbener Wau), sandyx
(Scharlach) sind wieder Farben der bukolischen Heraldik, die den
Tieren dieser zukünftigen Goldenen Zeit natürlich mit dem Fell
aus der Haut wachsen. Also wird die Natur an Qualität sich selbst
übertreffen, dank einer nicht weiter zu begründenden göttlichen
Willkür der Zukunft.
(36) cedet
et ipse mari vector
(V.44): Die Natur erreicht eine bemerkenswerte
Verbesserung dadurch, daß jeder Fleck Erde die gleichen Vorzüge
hat wie alle anderen Flecken Erde. Dann wird nämlich der Seefahrer
(vector 38) keine übermütige Erwerbs- und Erbeutungssucht
mehr brauchen, er kann vom Meer sicheren Abstand nehmen, nec
nautica pinus mutabit merces: Die Fichte wird nicht als
Schiffsmast dienen und die Erzeugnisse verschiedener Erdteile als
Waren gegeneinander austauschen müssen, was früher immer auch in
neues Unglück geführt hat (Hesiod op.618-694, Arat 282-299,
Hor.c.1,3).
(37) sponte
sua = ipse iam. sandyx
(V.45): Scharlachfarbe.
(38) talia
saecla (V38):
Eine solche Goldene Luxuszeit werden die Parzen mit ihren Spindeln
spinnen, suis dixerunt fusis Parcae. Vergil wechselt an diesem
recht willkürlich erzeugten Punkt seines kosmischen Zukunftsentwurfs
wieder die Autorität, von einer vom Senat befragten Sibylle und
einer archaisch-epischen Lehrdichtung und einer
hellenistisch-philosophischen Mythendeutung zu dem kreativen
Hochzeitssegen der Parzen, den uns Catull 64,303-383 aus der
eleganten Hofdichtung des Kanopus überliefert. Die neuen Vorhersagen
der neuen Goldenen Zeit ab V.37 bis hier und die folgenden geben also
nicht mehr wie die Sibylle von Cumae Antwort auf politische Fragen,
sondern erzeugen die konkrete Zukunft der ganzen lebenden Natur
selbst durch Spinnen und kündigen sie dabei an.
(39) Aderit
iam tempus (V.39):
Die Hochzeitsnacht? Dann müßte doch die Braut erwähnt
werden. Also eher die Ämter eins nach dem andern; Es kann ja, nach
V.37 ubi virum te fecerit aetas nur der allegorische
Knabe gemeint sein. Cara sc. genitoribus, den Göttern, s.V.7.
(40) adgredere
magnos honores
(V.48): Die endgültige Reife zu Staatsämtern ab dem
31. Lebensjahr schließt den Reigen der Lebensalter, die im neuen
Saeculorum Ordo anstelle der Metalle Hesiods die
Zeiträume gliedern. Gehen wir davon aus, daß in der klassischen
Heroenzeit des alten Saeculorum Ordo Götter regiert haben und
in der Eisernen Zeit Jupiter allein (mit Göttern als Ministern),
dann wird der zu deren Ende neu geborene Ordo Saeculorum (ille
V.15) auf dem ruhmreichen Gipfel seines Lebenslaufs (Epoche
2E) ein Magnum Jovis Incrementum, ein Superjupiter
sein, und diese Jupiter-Zeit keine ehr- und rechtlose, wie im ersten
Kreislauf die eiserne Menschengeneration Hesiods, denn im neuen Ordo
ist die Jungfrau wiedergekommen (s.V.6), und dank der neuen
Heroen (die die Tugenden der römischen maiores gelernt
haben, s.V.26f.), eine ruhmreiche; und da Meer und Erde und Farben
die Unvollkommenheiten, die sie in der ersten Goldenen Zeit noch
hatten, reformiert und ausgeglichen haben (V.38-47), auch eine
bessere als die ursprüngliche goldene.
(41) magnum
Jovis incrementum
(V.49): "Großer Zuwachs Jupiters!" Dieser,
Jupiter auf den zweiten Platz verweisende, Lobpreis des allegorischen
Jahrhundertknaben ist mit dem Parzenlied ("Talia Saecla"),
das mit der latinisch-saturnischen Blüteperiode (Epoche
1A V.26-30) eine durchgreifende Verbesserung und Vollendung
bringen will (Epoche 2E,
V.37-47), zwingend gefordert. Das genauso zwingende Motiv der
Versuche, das Wort incrementum als Ansage einer Apotheose
oder der Geburt des Missias in Bethlehem zu deuten, war aber nur das
Palmströmsche Prinzip "daß nicht sein kann was nicht sein
darf": "Ein Sterblicher darf doch kein Iovis
incrementum sein! Vergil meint
natürlich etwas Göttliches!" Meint er aber nicht. Vergil
hat Humor! Servius versucht vergeblich, incrementum
als nutrimentum,
"Zögling" zu verstehen.
(42) convexo
nutantem pondere mundum
(V.50):"Das unter dem gewölbten Gewicht
einknickende All" (die nördliche Halbkugel des Sternhimmels
über dem schräg auf und ab schwingenden Tierkreis).
(43) terras
(V.51): Die Erdfläche in der Himmelskugel. Tractus
maris: Der Horizont und die Ozean-Oberfläche, die die in der
Mitte des Globus schwebende Erscheibe umgibt. Caelum
profundum: Die südliche Halbkugel des Sternhimmels, die für
nördliche Beobachter immer unter dem Horizont bleibt.
(44) aspice
ut laetentur omnia
(V.44): Schau, wie das ganze Weltall sich über das
bevorstehende Zeitalter freut! Tum: Beim Ämterantritt
des allegorischen Weltalterknaben.
(45) o
mihi ... maneat longae pars ultima vitae et spiritus quantum sat erit
(V.52): Beziehungstausch von vita longa, et
partis ultimae spiritus quantum sat erit.
(46) tum
(V.52): "Dann", wenn am Zielpunkt der langen Zeitenreihe
die V.8 geborene Allegorie ihre ohne Kürschnerkosten
gelieferten prächtigen Gewänder anlegt, weil sie die
vorschriftsmäßig erreichten Amtsjahre antritt und der
neugeborene Knabe sich anschickt, die Goldzeitprodukte zu ernten und
dann in Ewigkeit zu besingen sein wird. Also in 40 bis 60 Jahren nach
Vortrag des Gedichts, zwischen 1 vor und 20 nach Christi Geburt. Dann
wird die momentan 41 v.Chr. feiernde Gesellschaft zum großen Teil
ausgestorben sein und, da die neuheroische Generation wohl noch nicht
ganz endgültig gesiegt haben und die wunderbare Entwicklung der
superjovialen Epoche 2E noch nicht ganz vollständig eingetreten sein
wird, die Überlebenden die Sache längst vergessen haben. Ein
Mann wie Scipio Africanus hat, Ciceros Somnium Scipionis zufolge, den
letzten kosmischen Gipfel erreichbarer Menschenwürde erst nach
seinem Tod erreichen dürfen. Man kommt, glaube ich, beim
Beifallspenden, das dem Gedichtvortrag unmittelbar folgen muß, um ein
ernüchterndes Lachen nicht herum! Der Neu-geboren-zu-werdende wird auf ein
ernstzunehmendes Epinikion schlieißlich doch verzichten müssen, denn die fünf
Kulturperioden fallen gerade wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die
Ausdrücke Magnus Saeclorum Ordo V.5 und Saturnia Regna
V.6 sind angemaßte heraldische Titel, auf die ein Nachkomme des
Konsuls Asinius Pollio, sollte er wirklich geboren werden, nicht den Traum eines Anspruchs haben wird, und die Beschreibungen der Jahres- und Vegetations- und
Kleiderstoff-Entstehungsphasen und Kulturstufen- und
Nationalgeschichtszeiten sind auch nichts Realeres, das Ganze also
kein ernst zu nehmendes Responsum zu einem persönlichen Anlaß und
keine praechristliche universale Prophetie, sondern scherzhafte Usurpation einer im
Senat aktuellen solchen in einem bukolischen Unterhaltungsgedicht
für die fröhliche private Feier eines vielleicht nur unsicher
erwarteten und trotzdem (fair?) errungenen Wahlsiegs. Eine Jocatio quasi fescennina.
Wirklich? Nicht doch
ein seriöses Hochzeitsgedicht mit eingelegtem Orakel als bukolischer "Silva"?
Nein. Die Berufung
auf Catull c. 64 spräche klar, ja ausschlaggebend für diese
arkadien-romantische Deutung, müßte sich nur die Person der
Kindsmutter, der erst im drittletzten Vers eine gewisse
Existenzberechtigung zugestanden wird – falls der Knabe auch ihr
ein Lächeln gönnen sollte, weil sonst später auch er bei Göttinnen
keine Chancen hätte - also, müßte sich die Mutter (um von Pollios
Schwiegervater zu schweigen) von dem Gedicht schwerstens
verhöhnt und beleidigt fühlen. Da ist doch, wenn schon das
Palmströmsche Prinzip gilt, eher anzunehmen, daß Asinius Pollio im
Jahr 41 Junggeselle war, beim Militär für eheliche Kinder schon
etwas alt geworden, und die Verdächtigung, daß er sich als der
alimentierpflichtige Vater des neuen Weltalters, das die Sibylle von Cumae verkündet
hatte, herausstellen wird, ein ziemlich frecher Scherz Vergils.
(47) carminibus
(V.55): Rückkehr zur Ankündigung canamus V.1.
Die Vorschußlorbeeren für endlose, aber einstweilen ungetane Taten
eines noch nicht von Licinia gesegneten Kindes sind so maßlos, daß
das paulo maiora V.1 wirklich
nur als Ironie verstanden werden kann. Alle irgendwie verfügbare
Inspiration von Apoll, Orpheus, Linus, Calliope und Pan mit ganz
Arkadien, indirekt auch von Venus und den Parzen, wird mit all ihrer
Heraldik beschworen, um dem allegorischen Vaterschaftsglückwunsch Kraft zu
verleihen.
(48) Pan
etiam (V.58):
Vergil will für Pollio nicht nur orphisch, sondern eben auch
bukolisch dichten. Was er damit genau meint, weiß nur das panische
Arkadien.
(49) risu
cognoscere
(V.63):
Beziehungsumkehr
von ride
cognoscens;
incipe
cognoscere
geduldiger als iam
cognosce.
Dea
dignata cubili est = dignari solet,
Gnomisches Perfekt. Es soll damit nicht gesagt sein, daß wohl Aeneas
als Neugeborener seiner Mutter offenbar zugelacht hat, Paris und
Hektor aber offenbar nicht, und darüber nachgedacht werden muß,
warum, und woran man das gemerkt hat. Vielmehr spielt Vergil mit den
heraldischen Schlußversen den freundlichen Onkel, der die stolze Mutter, die ihm
das Kind zeigt, lobt und den Säugling mit einem zärtlichen Kitzeln
begrüßt und zum Lachen bringt, um die immer noch
bloß leblose Allegorie endlich zu realem phantastischem Leben zu erwecken.
Betreffs der
Urheberschaft erkläre ich, daß die grundsätzliche Deutung des
Knaben als Allegorie schon vertreten wird von meinem verehrten Lehrer K.
Büchner in "Vergil, der Dichter der Römer", RE 1955,
1021ff. bzw. Sonderdruck S.175ff. Für die übrigen Auffälligkeiten
des Kommentars, soweit sie in der Spezialliteratur nicht schon
vorgekommen sind, übernehme ich allein die Verantwortung.
Müllheim (Baden),
den 23. Mai 2013.
Manfred Erren