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Müllheim (Baden), Baden-Württemberg, Germany
Siehe Manfred Erren in Wikipedia

Montag, 26. September 2011

Man reformiert die Kirche nicht!

Zeitzeugnis und Glaubensbekenntnis zu Ehren von Frau Dr. Elisabeth Gerstner, der Gründerin der Katholischen Traditionalisten-Bewegung.

1. Vorwort

Diese meine Erinnerungen habe ich begonnen niederzuschreiben in meinem 79. Lebensjahr 2007, zunächst als Brief an einen befreundeten Theologie-Professor anläßlich der Inthronisierung Papst Benedikts XVI. Da der Kollege mir vor Fertigstellung schon mitteilte, sein Gesundheitszustand erlaube ihm die Teilhabe an diesen Sorgen nicht mehr, ich solle sie ihm bitte ersparen, blieb der Entwurf in meinem Computer gespeichert und wurde von mir gelegentlich ergänzt und ausgefeilt, aber inhaltlich nicht mehr verändert. Es hätte zu vieles zu erzählen gegeben, vor allem über die stürmische Zusammenarbeit mit Frau Dr.Elisabeth Gerstner in Bensberg Immekeppel, und ihrer Katholischen Traditionalistenbewegung, die sie mit dem Slogan "Man reformiert die Kirche nicht!" in Deutschland, Frankreich, Italien, England und nicht zuletzt im Vatikan und mit der Zeitschrift "Kyrie eleison" mutig, urteilssicher und tatkräftig geführt hat.

2. Das neue Glück

Während der Sitzungsperioden des 2.Vatikanischen Konzils 1962-1965 und in der Zeit unmittelbar nach dessen Schluß brachten die veröffentlichten Beschlüsse dem gewöhnlichen Gläubigen wenig Neues. Warum sich die Geistlichkeit, vor allem die jüngere, so begeistert gebärdete, war nicht für jedermann zu erkennen. Man wartete neugierig auf die großen Verbesserungen, die nun im katholischen Leben kommen sollten. Die grundstürzenden Veränderungen in Kirche, Schule und Pfarrgemeinde, die dem Konzil tatsächlich folgten, hat das gläubige Volk nicht erwartet. Das Gebaren der Pfarrer und Vikare, Diözesanblätter und Ämter prahlte erst wichtigtuerisch mit nebensächlichen Neuerungen, warb dann für eitle neue Laienämter wie Vorlesen der Epistel oder epistelähnlicher neuerfundener Texte oder improvisierter Fürbitten von der Kanzel, lehrte dann selbstkritisch in Predigten und selbstironisch in Gesprächen ein neues Gewissen, zeigte sich in Auftritten im Freien allmählich auch frivol, ja lasziv, im Ganzen immer fremder und banaler, teilweise auch anstößiger; das, was man sich gewünscht hätte, war es nicht. Im Lauf der Jahre zogen sich manche aus dem Gemeindeleben zurück, weil ihnen die neuen Erlaubnisse gerade das Peinliche noch peinlicher machten, und noch mehr Katholiken fühlten sich von der Kirche verlassen, trotz immer mehr offizieller Beteiligung und Anteilnahme von Laien am kirchlichen Leben; es waren halt die falschen -, die Gesamtzahl der Gottesdienst- und Veranstaltungsbesucher wurde nicht größer und begeisterter, sondern immer kleiner, und das eigentliche religiöse Leben versank, während die Hierarchie sich nur noch um Werbung und Weltliches kümmerte, vor ihren Augen in Albernheit, Geschmacklosigkeiten, Abfallhaufen und Schmutz. Wenige Jahre nach Konzilsschluß fingen manche ältere Geistliche an, in engeren, privaten Gesprächskreisen besorgt von Krise zu reden. Wie eng aber diese schmerzliche Wirkung des Konzils, die die offiziellen Stimmen des Klerus und der Hierarchie wie einen großen Sieg feierten, der Absicht entsprach, die Papst Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsrede feierlich vor Funk und Fernsehen proklamiert hatte, blieb der uneingeweihten Öffentlichkeit unklar, oder verborgen. Es dauerte indes nicht lang, bis sich zeigte, daß die Neuheiten zusammenhang- und verantwortungslos hervorsprudelnde Bruchstücke von einem elenden Pfusch waren.

3. Antiautoritäre Stimmung

Schon in den letzten Lebensjahren Pius'XII., nachdem der Papst das Verbot gewisser Profanierungen heiliger Handlungen (z.B. durch photographische und phonographische Aufzeichnungen liturgischer Vorgänge) aufgehoben hatte, war die Loyalität des Klerus gegenüber der römischen Kurie immer unklarer geworden, schon während des Konzils war die Stimmung der Kleriker irgendwie übermütig; nach Schluß des Konzils wirkte ihr Benehmen geradezu ungezogen. Schon seit den ersten Nachkriegsjahren waren neue Kirchenbauten mit auffällig moderner Architektur und Einrichtung geplant und gebaut und in kunstverständigen Würdigungen gelobt worden, mit dem Altar in der Mitte und dem Tabernakel auf der Seite an der Wand, und so, daß der Priester mit dem Gesicht zum Volk zelebrieren konnte. Besucher, denen die Neubauten gezeigt wurden, staunten und bewunderten die neue Idee, und man sagte ihnen, aber gewöhnlich nur halblaut, daß es wegen dieser Anordnung mit der bischöflichen Obrigkeit leider Kämpfe gegeben habe, weil das Zelebrieren "versus populum" immer noch verboten sei. Es werde sich aber durchsetzen. Während des Konzils verstummte dieser Kommentar, denn die architektonischen Änderungen waren jetzt "ad experimentum" - ein vordem in der Kirche hinderlicher Vorbehalt, vgl. Mt 4,7 - durchgesetzt, und nach dem Konzil wurden vollends alle Kirchen entsprechend um- oder ausgebaut, und nicht mehr nur halblaut, sondern frei heraus zeigten die Geistlichen in privaten Gesprächen mit voller, in Predigten sogar mit erhobener Stimme für alles, was die kirchlichen Autoritäten bisher zu lehren und vorzuschreiben pflegten, eine so zornig empörte Verbitterung und Geringschätzung, daß die älteren Gläubigen erschraken und sich von der Ungezogenheit der Redner erst befremdet, mit der Zeit aber immer mehr auch mitbeleidigt fühlten. Mönche der Bettelorden entrüsteten sich über die Ordensregel, die ihnen kein Taschengeld zugestand, Augustiner Chorherren über viel zu geringes Bildungsprestige in der Öffentlichkeit, und Pfarrer und Vikare und Laien-Theologen jeden akademischen Grades kritisierten jetzt frühere Päpste, vor allem die "Pius-Päpste", als gälte für diese die im Ersten Vaticanum Päpsten zuerkannte Unfehlbarkeit nicht oder doch viel weniger als für die anderen. Ein Pfarrer freute sich, auf der Kanzel jetzt ruhig sagen zu dürfen, daß auch der regierende Papst in Rom eine veraltete theologische Ausbildung genossen hätte, ein anderer, in einem Kurort, gestand vor dem gebildeteren Publikum der Spätmesse, daß auch er an die Wunder Jesu nicht recht glauben könne, ein anderer gab auf den Chorstufen stehend - die Kanzel, schon früher nicht mehr beliebt, kam jetzt fast ganz außer Gebrauch - zu bedenken, ob nicht die früher gewohnten Missionspredigten manchmal auch eigentlich pharisäisch und gegen die ängstlich lauschenden Sünder gar zu hoffärtig gewesen seien, wieder ein anderer gestand in der Pfingstpredigt, daß auch er "mit dem Heiligen Geist nichts anfangen könne". Der geistliche Religionslehrer im Gymnasium, der seine damals vierzehnjährigen Schüler mit donnernder Stimme über die schwere Sünde ihrer Eltern aufgeklärt hatte, falls es zur Geburt eines dritten Kindes vielleicht absichtlich nicht gekommen war, sagte nach dem Konzil im Gespräch mit früheren Schülern dieser Klasse, solche Opferbereitschaft könne man doch heutzutage den Familien in ihren kleinen Stadtwohnungen nicht mehr zumuten. Leider rettete er die Ehre der Eltern vor ihren Kindern ca. 20 Jahre zu spät und mit viel schwächerer Begründung als er damals die pauschale Verdächtigung vorgetragen hatte. Den für die Bischofskonferenz wahrscheinlich entscheidenden Grund, nämlich daß die Evangelischen, die Paul VI. vergessen hatte, das doch alles schon lange praktizierten, ließ er weg. Die Katholische Studentengemeinde der Universität Freiburg lehnte ihre Teilnahme an der Fronleichnamsprozession ab und verkündete das in der Zeitung. Auf welcher Rechtsgrundlage es zu dieser Pressemeldung gekommen war, stand nicht dabei. Es wurden aber auch tatsächlich "Räte" in Gemeinden und Diözesen und Provinzen und Nationen eingeführt oder spontan konstituiert, deren Sitzungen gewöhnlich provozierende Resolutionen hervorbrachten. Das geistige Leben der "Kirche" war in den 70er Jahren gekennzeichnet durch erbarmungslose Anklage und Verurteilung aller vor "dem" Konzil in der Katholischen Kirche üblichen Seelsorgeroutine, ohne ordentliche Ermittlung, ohne ordentliches Verfahren, ohne zuständiges Gericht, ohne kompetente Ermittlung oder Erklärung, es war eine totalitäre Schmähungs- und Verleumdungswoge in genau dem Stil, wie man es früher nur von politischen Parteien gewohnt war. Ein Pfarrvikar im Schwarzwald wälzte sich im Strandbad vor der ihm anvertrauten Jungengruppe im Schlamm und erklärte dazu: "Ein Priester ist auch ein Mensch wie ihr!" Wenig später begegnete man einem Priester und frischpromovierten theologischen Doktor auf einem Spaziergang im Wald allein mit einer etwa gleichaltrigen jungen Dame, ein Jahr später sprach sich herum, daß hier der Regens eines Priesterseminars, dort der angesehenste Stadtpfarrer sich erhängt habe, und nicht gar viele Jahre später verkündete ein Bischof von der Kanzel seiner Kathedrale herab, daß er Vater eines Kindes geworden sei und deswegen von seinem Amt zurücktrete. Und vieles andere mehr von dieser Art erlebte man in den 70er Jahren. Aber schon viel früher nach dem Konzil wurde vor der Sonntagsmesse in der Kirche der sich versammelnden Gemeinde ein ca. 7 x 10 cm großes, von Hand zurechtgerissenes Zettelchen verteilt, auf dem mit Schreibmaschine geschrieben und bürotechnisch vervielfältigt der neue, zeitgemäß banalisierte Text des Vaterunser verteilt, der mit "erlöse uns von dem Bösen" endet statt mit "von dem Übel" und ab sofort immer gebetet werden sollte. Das "Böse" statt "Übel" kommt den russischen Orthodoxen entgegen; aber mußte das nun wirklich sein, daß wir das umlernen? Die sonst damals allgemein eher antiautoritär berieselte Gemeinde ließ es sich aber gefallen; es ging ja nur ums Vaterunser und war theologisch so belanglos, daß man es bedenkenlos nachsprechen konnte. Noch belangloser schien die "Korrektur" am Anfang: "Vater unser im Himmel", statt wie bisher altertümlich "der du bist im Himmel". Der in diesem Fall streng genommen doch gravierende feine Unterschied, daß man Gott im Himmel jetzt nur noch urväterlich vermutet, aber nicht mehr weiß, ob er dort auch wirklich ist, scheint dem gläubigen Volk auch heute noch nicht aufgegangen zu sein. Das große Glück der Konzilsbeschlüsse erschien wie ein großes Staubwischen, Aufkehren und Müllabfahren von veralteten Umgangsformen und gedankenlosen Redensarten.

4. Kultureller Niveausturz

Es war aber nicht alles Müll, was weggeputzt wurde, und an allen Ecken und Enden dieser Oberflächenreform zeigte sich ein erschütternder geistiger Niveausturz. Die Vermeidung des Wortes "Weiber" im Ave Maria begründete man mit der frechen Behauptung, das Wort habe in neuerer Zeit nur noch die abschätzige Bedeutung, die es in vulgären Redensarten hat. Liegt es denn an der Vokabel, wenn der Religionslehrer und seine Freunde über Weiber nur gehässig, über Jungfrauen nur spöttisch reden? Die Wörter haben doch ihren Klang von der Meinung des Sprechers im Zusammenhang, nicht umgekehrt!

In das Gebet "Communicantes" des Canon Missae wurde zwischen die Gottesmutter Maria und die heiligen Apostel eine Erwähnung des Hl. Joseph des Nährvaters eingeschoben, weil Papst Johannes XXIII. einen derartigen Wunsch geäußert haben soll, um den Patron seines Taufnamens zu ehren. Welch eine Ehre für den hl. Josef, das Verständnis des tiefen Mysteriums stören und es mit einem oberflächlichen Mißverständnis zerstören zu dürfen! Will man vielleicht, indem man den Nährvater Christi ohne Rücksicht auf den Zusammenhang gleich neben die menschliche Gottesmutter stellt, diesem die Würde der leiblichen Vaterschaft erschleichen? Hat im Vatikan niemand mehr gewußt, daß der hl. Joseph vor Christi Kreuzestod verstorbenen ist und beim Abstieg Christi in die Vorhölle zusammen mit den Propheten des Alten Bundes zum Himmel geführt wurde? Hatte man an der Spitze der Hierarchie vergessen, daß die hl. Messe die Erneuerung des Kreuzesopfers Christi ist? Oder wollte man, daß wir das zugunstens des Mahlopfers vergessen? Jedenfalls hat man es billigend in Kauf genommen.

Als allererste Änderung des Meßritus war die Reihenfolge von "Ite missa est" und Segen umgetauscht worden mit Rücksicht auf die Ungeduldigen, die nicht verstehen, wozu sie nach der Verkündigung des Endes der heiligen Messe auch noch den Segen des sich verabschiedenden Priesters abwarten sollen.

Und dann kamen dazu wie aus einem Dammbruch andere Verhüllungen und Entwertungen mehr, die Herabstufung der Sakramente zu Familienfesten und die Umdeutung und Umstilisierung aller Riten zu Kollektiverlebnissen und die Reduktion des ganzen Katholizismus auf unverbindliche Folklore, lang vergessene und jetzt von gewissen Gebildeten wiedererweckte kultur- und kunstgeschichtliche Fundstücke und Überbleibsel - will man auf der Basis von Fernsehberichten mit den wirklichen Betern wirklicher Religionen Dialog pflegen? Glaubt man im Ernst, die übermütige Stimmung einer touristischen Geselligkeit sei der Heilige Geist, der tradierbare neue Wahrheiten (oder auch harmlos umstilisierte Nebensachen und modische Verwechslungen) von Fall zu Fall neu offenbart? Oder sind mit dem Wort "Dialog" wirklich nur interkonfessionelle Beratungen von allerseits traditionskritischen Theologen gemeint, die sich treffen in dem gemeinsamen Bemühn, im Christentum eine für jede Klientel bequeme, gemeinsame Religion zu finden, zu deren leicht abgeflachten Bildern jeder ein paar Vertiefungen erfinden kann, die zu seinen Mythen passen?

Es gehört offenbar Bildung dazu, den Katholizismus zu verstehen, Bildung, die die Kleriker großenteils nicht mehr haben wollen und die die Laienwelt vergessen soll. Nicht die Kirche ist veraltet, sondern der Klerus ist auf dem religiösen Niveau seiner denkfaulen, abständigen und ungläubigen Confratres angekommen und fühlt sich da wohler als im gelernten Glauben. Über die studierte katholische Pastoral läßt man den Vorhang fallen, um ihn vor der multikulturellen Folklore einer neuen ökumenischen Frömmigkeit wieder zu öffnen.

5. Entwertung der Theologie

Freilich, die breite Masse der lauen und abständigen Christen, die sich persönlich nie über den Schulunterricht hinaus um die Glaubenslehre gekümmert hatten, und deren Kinder jetzt von vornherein keinen traditionellen Religionsunterricht mehr bekommen, ob sie legal abgemeldet sind oder nicht, haben sich durch die Entehrung des Mysterium fidei sofort amüsiert und erleichtert gezeigt, denn der "praktizierte Katholizismus" ist ja in jeder Hinsicht vereinfacht, zurechtgemacht und von allen mystischen Belangen befreit und profaniert worden; man kann jetzt alles mitmachen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, man glaubte dabei im Ernst an etwas Übernatürliches. Auch sich für gebildeter haltende denkende Leute können jetzt in die Kirche gehen ohne sich zu genieren. Sie finden, die Geistlichkeit ist zu Einsichten gekommen, die ihr endlich das nötige Verständnis für die moderne Welt möglich gemacht haben.

6. Zölibat und Kinsey Report

Die Gesellschaft trifft sich in der Mitte: Wie der gebildete Katholik jetzt seinem Pfarrer gegenüber zugeben kann, daß er, wenn er an den Riten teilnimmt, für sich privat nicht an den göttlichen Ursprung der Kirche glaubt, so kann der Geistliche jetzt auch seinem Gemeindemitglied gegenüber zugeben, daß er für sich privat den Liberalismus der sog. Sex-Revolution und die um sich greifende Unsitte junger Paare, ohne weitere gesesellschaftliche Formalität "zusammen zu ziehen" um in "eheähnlichem Verhältnis" zusammen zu wohnen, nicht ganz so schlimm, ja eigentlich ganz natürlich und gesund findet. Friede zwischen den Parteien ist wichtiger als bigotte Moral. Vor allem diese neue Toleranz der Kirche in Fragen des Sexuallebens machte Erziehern und älteren Seelsorgern Widerstand gegen die sog. Reformen der Pastoral praktisch unmöglich und ist sicher das stärkste und gewaltsamste Mittel, die Änderungen im religiösen Leben gegen alle dogmatischen und moralischen Bedenken durchzusetzen. Eine Vergewaltigung der Frömmigkeit.

7. Der Staatsstreich

Vielleicht haben alle Konzilien der Kirche im Innern einen Staatsstreich befördert, der in der Katholischen Kirche neue Glaubenslehren und neue Machtverhältnisse schaffen wollte. Das Zweite Vatikanische Konzil war besonders gefährdet, denn eine große Zahl der versammelten Väter haben seine Themen schon von seinem Anfang an zu den früheren Konzilien in ganz generellen und grundsätzlichen Gegensatz gesetzt, indem sie es zum "Pastoralkonzil" erklärten. Nicht die zu lehrende Wahrheit der göttlichen Offenbarung sollte diesmal die Hauptsache sein, sondern die Verkündigung selbst, d.h. eben die Ideologie der Verkündiger und deren gruppendynamische Aktivitätsstruktur. In der Rangordnung der herkömmlichen geistlichen Ämter Lehramt, Priesteramt und Hirtenamt sollte das letztgenannte, das keine Unfehlbarkeit beanspruchte, über die beiden anderen, unfehlbaren Ämter die Herrschaft erhalten, und den Auftrag, sie nach entsprechend gewandelten Prinzipien zu verwalten, da die neue Zeit, wie jede Zeit, neue Bedürfnisse hat, die die früheren Zeiten nicht hatten.

Vor allem hielten Theologen, Bischöfe und Priester in ihrer Funktion als Seelsorger die überlieferte Liturgie für reformbedürftig, weil sie von der Glaubenspredigt eher ablenke, und hatten in verschiedenen Diözesen schon begonnen, die Kulthandlungen so umzugestalten, daß im intentionalen Erlebnis des zeitgenössischen Kollektivs der Gläubigen der Priester seinen alten Glauben den neuen Gläubigen besser verständlich darstellen könne.

Es sollte sich dann zweitens die lehramtliche Glaubensverkündigung mit Aussagen, die mit den Lehren anderer Konfessionen und Religionen in Widerspruch stehen könnten, so zurückhalten, daß ihre Glaubensforderung und sittliche Ermahnung möglichst wenig Anstoß zu Widerspruch und Ablehnung gebe und möglichst viele Gemeinsamkeiten mit der alltäglichen und allgemeinen Denkweise der Öffentlichkeit hervorhebe. So wollte man die Gutwilligen aller Religionen, besonders natürlich die der christlichen Konfessionen, nicht zuletzt aber auch die abständigen Katholiken und sehr wohl auch ungläubige Atheisten für ein einziges gemeinsames Glaubensbekenntnis gewinnen. Die so um den gemeinsamen Altar sich findende und heranwachsende Gemeinde werde, so erwartete man drittens, das Bekenntnis zu den jahrhundertelang gesammelten und diskutierten Dogmen nicht mehr wie ein Gebot erfüllen und wie eine Last tragen, sondern ihren Glauben frei und überzeugend vorleben, umso erleuchteter und trefflicher, je freier und unbemerkter sich die neu zu gestaltende Liturgie bestehendes Unverständnis und Mißverständnis zu vermeiden und zu eliminieren trachtet und der Versammlung ein unbefangen richtiges, vom unsichtbar anwesenden Gottessohn unbemerkt eingegebenes gemeinsames Verständnis zutraut. Das Konzil und seine neuen Beschlüsse werden, so sagte Johannes XXIII., "wie ein zweites Pfingsten" das Volk neu begeistern und "niemanden ausschließen, sondern mit ausgebreiteten Armen alle einladen", "daß alle eins seien". Das Wort Jesu: "Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen", gibt den mit der Liturgiereform offiziell, also im Namen Christi, Beauftragten alle nur wünschbare Gedanken- und Redefreiheit; die Gemeinde kann denken und sagen was sie will, wenn sie es nur gemeinsam und irgendwie im Namen Christi tut, ist es wahr, gut und schön.

8. Die Versuchung

Nun ist aber der Heilige Geist, der vom Vater und vom Sohne ausgeht, ein starker und eifernder Gott. Er weht dort, wo ER will, dann, wann ER will und so lange ER will, und hat die Leitung der Kirche, die er im Pfingsten der Apostelgeschichte begonnen hat, nie beendet oder unterbrochen, daß er sie hätte wiederholen müssen. ER war auch nicht so schwach, daß ein zweiter Geist ihm hätte beispringen müssen. Daß seine jahrhundertelang treulich, reichlich und herrlich gegebenen Gaben revidiert, mit den trügerischen Gaben unreiner Geister kompromittiert, verglichen und umgetauscht, ER wegen hoffärtiger Reklamationen menschlicher Gemeindeversammlungen herbeizitiert, zur Rede gestellt und mit Gegenvorschlägen korrumpiert werden sollte, konnte ihn nicht gnädig stimmen, sondern mußte ihn zutiefst beleidigen und seinen Zorn reizen (Mt 12,32; Mk 3,29f.;Lk 12,10). Papst Johannes XXIII., von einer freundlichen Presse der Welt vorgestellt als "der Papst, der lacht", hatte die im Petersdom versammelten Bischöfe nicht nur nicht vor bösen Geistern gewarnt, sondern sie ausdrücklich eingeladen, aus den Sorgen und Anfechtungen der neuesten Zeit ersprießende, bisher ungewohnte, neuartige, unmöglich scheinende Beschlüsse zu fassen und auf alte,vom Heiligen Geist früher abgelehnte, von zweifelnden und aufbegehrenden Menschen aber sehnsüchtig gehegte Wünsche zurückzukommen. Im Zweiten Vatikanischen Konzil nun gab es auch unter den anwesenden Theologen solche, die sich von gefährlichen, ja von sicher irrigen und häretischen Wünschen verlockt fühlten, endlich auch einmal mit der übermütigen Welt über die humorlose Kirche zu lachen. Ihre teilweise revolutionären, den festen bisher offiziellen Darstellungen widersprechenden Ansichten wurden gar nicht verheimlicht; der vorsitzende Papst Johannes XXIII. hatte ja dogmatistisches Mißtrauen ausdrücklich zurückgewiesen, so daß Vorsicht diesmal nicht nötig war. Daß manche der während der Konzils-Sitzungen vorgetragenen neuen Prinzipien und Einzelvorschläge nichts anderes als Abfall vom christlichen Glauben und Verrat an den treuen Gläubigen darstellten, dürfte angesichts vorangegangener expliziter Verurteilungen durch frühere Päpste, insbesondere Pius X., Pius XI. und Pius XII., außer Frage stehen, und es fehlte auch von der ersten Minute an nicht an öffentlichem Widerspruch seitens der wissenden Gläubigen. Doch man spielte, nachdem die Glaubensverkündigung hinter die Hirtensorge zurückgesetzt worden war, mit der verwegenen Hoffnung, die mit dem Papst vereinten Bischöfe hätten vielleicht auch die Macht, früher verkündete Wahrheiten wieder zurückzunehmen, vor allem und mindestens dann, wenn sie in anderen Worten und Auslegungen beschrieben wurden als bei der früheren Verkündigung. So ging man eben auch dazu über, denen, die auf definierten Dogmen bestanden, ungeniert Mißverständnis und verdrehte Auslegungen vorzuwerfen und sie mit dem Vorwurf, auf der bisherigen, Andersgläubige abschreckenden, lieblosen, hartherzigen und arroganten Strenge der Vergangenheit beharren zu wollen, die es doch im Pastoralkonzil endlich zu überwinden gelte, zu diskriminieren.

Nun erging es den Treuen bisherigen Glaubens, vor allem den einfältigeren und älteren Geistlichen des niederen Klerus, nicht anders als den in Rom versammelten Bischöfen ferner Länder. Sie wagten es nicht, einem modern denkenden Kollegen einfach Eidbruch, Abfall vom Glauben und Götzendienerei vorzuwerfen; das wäre doch ganz gegen den in geistlicher Gesellschaft üblichen guten Ton gewesen und auf den Kritiker zurückgefallen. Sicher gab es nicht wenige, denen es nicht an Mut fehlte, ein Befremden auszusprechen; da aber Macht und Ansehen auf Seiten des Papstes und der Würdenträger war, hatte das keine Folgen. Die Beschuldigten haben ihr Verhalten nicht erklärt oder verteidigt, es auch nicht geleugnet, sondern eingestanden, daß das und das früher niemand zu sagen gewagt hätte. Aber selbstverständlich gaben die Antragsteller auch nicht zu, daß ihre neuen Ideen verbotene alte waren. Sie haben dieses Bedenken auch nicht eingehend diskutiert und widerlegt, sondern machten es sich leicht, die Einwände mit ihrer Autorität zum Schweigen zu bringen, haben jede Veröffentlichung kritischer Stellungnahmen in der Presse und in Buchveröffentlichungen nach Kräften unterschlagen und unterdrückt, die interessanteren und heikleren Einzelheiten wurden ohnehin in Kommissionen behandelt, die der Schweigepflicht unterlagen, und die Gläubigen lernten mit Staunen, welches Ansehen, ja welch ungewohnte Macht die Kirche in der Presse auf einmal hatte. Die Welt begann auf die Kirche zu achten und sie zu ehren wie schon seit Jahrhunderten nicht mehr. War das nicht der Anbruch einer besseren Zeit? Aber die ernsten Probleme wurden dadurch, daß der Papst sie nicht ernst nahm, nicht lustig.

9. Entehrung der Jungfräulichkeit

Das Lob der Keuschheit und die grundsätzliche Empfehlung der Jungfräulichkeit als heiligmäßiger Tugend war nach Konzilsschluß wie abgeschafft. Im deutschen Ave Maria wurde das Prädikat "gebenedeit unter den Weibern" (benedicta tu in mulieribus) durch "gebenedeit unter den Frauen"(korrekt zurückübersetzt "inter dominas") ersetzt, weil, wie man behauptete, das veraltete Wort "Weib" nur noch in abschätzigem Sinn vewendet werde. Irgendeinen sprachwissenschaftlichen Beweis für diese pauschale Behauptung gab es natürlich nicht, einen Hinweis auf die vorbildliche Demut der Mutter Gottes - "Siehe, ich bin die Magd des Herrn" gab es in diesem Zusammenhang auch nicht. In Massenauflagen neuer "ökumenischer" Gesangbücher wurden, angeblich mit Rücksicht auf mögliche andersgläubige Leser und Sänger, in den Marienliedern Textänderungen vorgenommen, die angeblich für viele Gläubige und vor allem Andersgläubige der Liebe zu Maria und dem Verständnis für katholische Gebets- und Denkgewohnheiten im Wege standen, eigentlich aber nur vergessene, religiös anspruchsvolle Glanzstücke des alten Marienlobs waren, ihre Unterdrückung dementsprechend nur Verdunkelung des Lobs, beleidigende Degradierungen der Mutter Gottes und Provokationen frommgläubiger Marienverehrer darstellten. Der seither herangewachsenen jüngeren Generation fällt das natürlich nicht mehr auf, sie hat es Dank nur zu gerne gehorsam verringerten Lehrfleißes der katholischen Religionslehrer nie anders gehört. Im Schulunterricht nannte man die Mutter Gottes statt "Jungfrau" jetzt "junge Frau", was in korrektem Deutsch bis in die 70er Jahre ein pikanter Gegensatz war, und im neuen "Religionsbuch" war die entsprechende Seite auch mit einem guten Foto von einer gut gekleideten jungen Frau illustriert, die einen Krug auf dem unverschleierten Kopf trug. Im Freiburger Münster wurde der Immaculata, ("Ich sah ein Weib bekleidet mit der Sonne, den Mond zu ihren Füßen, auf ihrem Haupt einen Kranz von zwölf Sternen" Off 12,1) das im Rücken der Statue an der Wand angebrachte flammende und vergoldete metallene Mandala, das das Sonnenkleid darstellte, entfernt. Der Mond unter den Füßen blieb, weil Teil der steinernen Skulptur, erhalten. Auch Papst Paul VI. hatte angeblich vor "übertriebener Marienverehrung" gewarnt, leider ohne das richtige Maß frommer Marienverehrung genau anzugeben. Die Statue zeigte jetzt, wo die Grenze verlief: Mond aus Stein ging in Ordnung (er war mit den Füßen aus einem Stück gemeißelt und genoß als gotische Skulptur Denkmalschutz), Sonne aus Blech (an der Säule hinter der Statue angebracht) war übertrieben. Hochschätzung des Kunstdenkmals ging vor Bibelkenntnis und mystischer Betrachtung. Früher hatte man gemahnt: "De Maria numquam satis," und es leben heute noch viele, die ihre geistlichen Erzieher das haben sagen hören. Sie sind freilich am Aussterben. Wie hat sich der in Bayern aufgewachsene Professor und Kardinal Josef Ratzinger in dieser Sache damals verhalten? Wie verhält er sich heute als Pontifex Maximus Benedikt XVI.? Wie vermeidet er übertreibendes Blech? Wie urteilt er im großen Kopftuchkampf, den christliche und muslimische Lehrerinnen gegeneinander und religionsübergreifend miteinander kämpfen? Zu wem spricht er, wenn er ein Ave Maria betet? Vielleicht steht das in dem Buch, das er über Maria geschrieben hat. Seitdem Paul VI. ein großes neues Credo geschrieben hat, üben sich die Päpste in theologischen Monographien als neuestzeitliche Kirchenlehrer; freilich, wie schon die alten, nur mit privatem Lehranspruch.

10. Vernachlässigung der Taufe

Schon in der ersten Zeit nach dem Konzil wurde in einem katholischen Entbindungsheim in Freiburg, aber wahrscheinlich nicht nur da, die gewohnte wöchentliche Taufe der Neugeborenen abgeschafft. Damals wurden noch jede Woche Wöchnerinnen entbunden, der Aufwand für die Taufe war nicht groß, und da das Krankenhaus eine kirchliche Einrichtung mit Ordensschwestern war, konnte sich eigentlich keine Mutter durch das Angebot konfessionell belästigt oder ungebührlich genötigt fühlen; es war vielmehr eine nicht geringe Entlastung für die Eltern, die gerade die Last eines neuen Kindes auf sich nahmen. Daß aber wegen der Abschaffung dieser Gelegenheit viele der Neugeborenen lange Zeit, manche möglicherweise ihr ganzes Leben lang ungetauft bleiben würden, nahm man billigend in Kauf, und so blieb es auch danach, bis schließlich in den 80er Jahren mangels Bedarf die ganze Entbindungsstation des Krankenhauses aufgehoben wurde. Offenbar halten die Erzbischöfe seit dem Konzil das Sakrament ohne umrahmende Familienfeier für wertlos, den zusätzlichen Kosten- und Arbeitsaufwand für ein besonderes Familienfest in jedem Fall für zumutbar, zumal die Eltern es ja gar nicht unbedingt feiern müssen.

11. Verleugnung der Armen Seelen

Im Formular der Seelenmesse und im Begräbnisritus unterbleibt seit "dem" Konzil jede namentliche Erwähnung des Verstorbenen. Für die arme Seele wird offiziell nicht mehr gebetet, die Begegnung mit dem Angesicht Gottes und eine mögliche Sündenstrafe im Fegefeuer wird nicht mehr gefürchtet. "Die Frohbotschaft ist keine Drohbotschaft", liebt man zu reimen. Als Schlußlied am offenen Grab singt die Trauergemeinde ein Auferstehungslied, als wenn auch der gerade ins Grab sinkende neue Sarg schon wieder leer wäre. Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele und an das persönliche Gericht, an die "Vier Letzten Dinge", scheint abgeschafft, bleibt jedenfalls in den Riten seit Schluß des Zweiten Vatikanischen Konzils außer Betracht. Das ist nicht nur eine neue ökumenische Mode, auch nicht nur die allmähliche Abschaffung der Erdbestattung und ein auffälliges Absterben der allgemeinen Totenverehrung. Es ist vielmehr das genaue Gegenteil von Seelsorge, nämlich verantwortungslose Beschwichtigung der heilsamen Gottesfurcht und Bußfertigkeit, die bei trauernden Leidtragenden erwachen könnte.

12. Philosophische Hintergründe

Man begnügt sich also nicht mehr damit, die Erklärung der katholischen Sitten- und Ritentradition aus der aristotelischen Analytik des hl. Thomas von Aquin in die Ontologie der Phänomenologen und Existentialisten des 20. Jh. zu übersetzen (wie ich in den Jahren vor "dem Konzil" meine theologischen Kommilitonen aus der Schule plaudern hörte). Schon die drei oben beschriebenen Angriffe auf das typisch katholische Brauchtum: Mißachtung der Jungfräulichkeit, Vernachlässigung der Taufe und Mißachtung des Gerichts Gottes, zeigen deutlich genug, daß es der nachkonziliaren Pastoral nicht nur um die Versöhnung der Konfessionen in Deutschland geht, die doch schon lange in zivilem Frieden miteinander leben. In Frage steht der Glaube an Gott überhaupt, an den Dreifaltigen Gott, an die Unsterblichkeit der Seele, an die Freiheit und Verantwortlichkeit der Menschenseele, und um die Kompatibilität dieses Glaubens mit dem wissenschaftlichen Weltbild der Neuzeit und der Revolution. Die theistischen Positionen des christlichen Credo werden von Hierarchie und Klerus wohl noch explizite bekundet, aber nicht mehr ernsthaft als einzige Wahrheit vertreten, und auch Gläubigen nicht mehr im Ernst zugemutet; es gibt ja keine Sanktion mehr für Irrlehre und Unglauben. Leben, dessen Schutz uns heut vor allem interessiert, findet für das moderne Denken ausschließlich im Diesseits, im Andenken und Beurteilen der lebenden Menschen statt; deren kollektive "Debatten" oder "Diskurse" (auch im interkonfessionellen "Dialog") lösen in der gelebten Religion die göttliche Offenbarung ab, die in Schrift, mündlicher Überlieferung und in Leben und Wirken des Gottmenschen Jesus Christus erschienen ist und erscheint. Das bedeutet, daß die interkonfessionelle und interreligiöse Kommunikation der aktuell lebenden Menschen sich selbst für den sich offenbarenden Gott hält. Die Gründe, Gegenstände und Beweise der katholischen Religion, ihre ganze Substanz, existiert im Denken des Kollektivs, vor allem der Hierarchie, die es vertritt, und deren Einfluß sich das gläubige Volk nicht entziehen kann. Es wird, meint der Ökumeniker unreflektiert, jede Illusion und Desillusion wie in der Vergangenheit, so auch in Gegenwart und Zukunft mit der berufenen Gruppe mitvollziehen und genießen, da ein Kollektiv als solches keine unsterbliche Seele, keinen Verstand und keinen freien Willen hat. "Wir sind Kirche," stellt es sich vor, aber in dem so hochstaplerisch präsentierten "Wir" gibt es kein Ich, das für alle Sünden der jeweils versammelten Personen zusammen geradestehen möchte.

13. Profanierung des Heiligen

Schon in den ersten Jahren nach dem Konzil folgte weiter als ganz besonders provozierendes Ärgernis die neue liturgische Vorschrift, daß die hl. Kommunion nicht mehr kniend auf die Zunge, sondern stehend in die Hand zu empfangen ist, wie an der Feldküche der Guß aus der Suppenkelle ins Kochgeschirr. Bis dahin wäre die bloße Vorstellung dieser Kommunion als böse Schändung des Allerheiligsten angesehen worden; es war sogar tatsächlich in jüngstvergangener Zeit von zuständiger Seite als diabolische Erscheinung exorzistisch behandelt und literarisch beschrieben worden. Jetzt wurden die Gläubigen vom austeilenden Priester oft barsch und feindselig angefahren, wenn sie vor ihrem göttlichen Heiland ehrfürchtig niederknien wollten. Das hieß ja, den modernen Reformern, die durch das "Konzil" zum Offenbarungsorgan Gottes geworden waren, den Gehorsam verweigern. Beim Darreichen der Hostie geben manche Priester den lateinischen Terminus "Corpus Christi" in der "Volkssprache" oft mit "Laib Christi" wieder. Niemand soll vergessen, daß die Hostie ein Stück Brot ist, niemand soll sich ein Herz-Jesu-Bild hineinprojizieren. (Vgl. dazu die Blechsonne der Immaculata.) Erstkommunikanten bekommen auch den allzu klaren Ausdruck "heiliges Brot" zu hören. Das ist eine Konsensformel für einen ökumenisch-christlichen Einheits-Religionsunterricht; sie kann gegenüber Dritten ein Bekenntnis zum Glauben an die Transsubstantiation ausdrücken, muß das aber nicht.

Diese neue Gestik und Proklamation des Sakraments ist in diesem geschichtlichen Zusammenhang der sog. Liturgiereform eine Glaubensumformung von höchster fundamentaltheologischer Relevanz. Nur diejenigen Gottesdienstteilnehmer, die sich vor dem Konzil als Kinder in der Kirche gelangweilt hatten und ihre Religion erst von der neuen Offenbarung des Konzils als Erwachsene verständig hinzunehmen vermochten, konnten die Änderung in vollem Ernst gutheißen. Wer aber schon vor 1962 Kommunionunterricht genossen und gerne geglaubt hatte, konnte das nicht. Der Verfasser dieses Berichts jedenfalls und viele seiner Bekannten und Freunde gehen seit dem Aufkommen dieser neuen liturgischen Gewohnheit nur noch dort zur Messe, wo man die hl. Kommunion kniend in den Mund empfängt. Nur dort kann er seinen Glauben, den Leib des Herrn zu empfangen, zum Ausdruck bringen.

14. Ökumenistische Pastoral

Bei der ersten Ankündigung des Konzilsvorhabens des Papstes Johannes XXIII. war die Rede von Bestrebungen, die orthodoxen Christen Osteuropas und des vorderen Orients mit der römischen Kirche zu versöhnen. Das wurde aber nach Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils schnell vergessen zugunsten eines Vorhabens, das hauptsächlich oder ausschließlich Deutschland betraf, und Aktivisten dieser Bestrebungen begannen sofort, mit einer erstaunlichen Begriffsvernebelung zu arbeiten, indem sie den Unterschied zwischen Häresie und Schisma verschütteten und nur noch von "Glaubensspaltung" sprachen. Das war und ist Desinformation! Soll sich das im kollektiven Meinen und Wünschen gegen dogmatistische Entschiedenheit durchsetzen? Offenbar. Es wird tatsächlich nicht der Streit um den Glauben beklagt, sondern die davon bewirkte politische Spaltung der Gesellschaft in zwei Kultgemeinschaften, die die christliche Hierarchie in zwei Parteien zerteilt und ihre Macht halbiert hat. Das schmerzt den deutschen Klerus mehr als der Verlust der Wahrheit. Gemeint ist mit der beklagten "Glaubensspaltung" in Wahrheit die Verteilung der Deutschen Nation an zwei Religionsobrigkeiten, die dem katholischen Klerus Deutschlands schon vor Bismarcks Zeit eine schmerzliche Einbuße pastoralen Prestiges gewesen ist. Um dieses, und nicht um die Einheit im wahren Glauben schien es alsbald den ökumenistischen Bestrebungen allein zu gehen. Es geht jetzt um die praktische Annäherung und Angleichung der Zeremonien und gesellschaftlichen Gewohnheiten der beiden christlichen Konfessionen, das sakramentale und spirituelle Leben der einzelnen Gläubigen wird vernachlässigt und die Unterschiede verwischt. Der Terminus "Häresie", der in der klassischen katholischen Theologie "Irrlehre" bedeutet, wurde und wird seit "dem" Konzil wie ein unanständiges Wort nicht mehr ausgesprochen, sein Gebrauch ist verpönt und die Menschen, die ihn verwenden, werden als eine Art Volksfeinde diskriminiert, dagegen formale Häretiker (die sich zu einer Irrlehre bekennen und der katholischen Lehre ausdrücklich widersprechen), werden alsbald bei jeder sich bietenden Gelegenheit verteidigt, salviert, absolviert; natürlich nur in privaten Stellungnahmen, nicht in verantwortlichen Entscheidungen, denn solche gab es nicht mehr. Die tiefere Bedeutung der strittigen Glaubenswahrheiten wird einfach ignoriert, wirkliche Irrtümer anderer Konfessionen und Religionen bedauert man seit dem Konzil nicht mehr, die verschiedenen Erziehungen und Geschmäcker gelten als gleichwertig (d.h. als gleichgültig, jede für sich wertlos). Die Tradition ist so etwas wie die manchmal für Kinderbesuche vom Speicher hervorgeholte Kiste mit den alten Spielsachen von Onkeln und Eltern, auch älterer Geschwister und Vettern, mit den altvertrauten Spielbrettern und Baukästen, Spielsteinen, Spielkarten, Spielgeld und Würfeln und Marken, vielen kaputten und sinnlos allein gebliebenen Einzelstücken, deren Serie verloren und vergessen ist, die aber trotzdem immer wieder von liebenden Tanten und treuen Kindermädchen aufgeräumt und so, wie sie sich gerade auf dem Fußboden des Kinderzimmers gefunden haben, unverstanden in die Kiste zurückgefegt und aufbewahrt worden sind für den nächsten Kinderbesuch. Alles was in der Tradition vorkommt, ist im heutigen Religionsunterricht altes, interessantes, Phantasie anregendes, bestauntes und verehrtes, aber leider kaputtes und eigentlich unbrauchbares, für Erwachsene ja schon von Anfang an wertloses Spielzeug. Ehr-, recht- und schutzlos ist die Tradition dem Religionslehrer überlassen, der sie, selbst wenn er sie lieben möchte, nicht reformieren kann, da er ihre frühere, ernst zu nehmende Form nie gekannt und noch weniger verstanden hat. Er kann nur irgendwie intentional wahrnehmend darin baden und plantschen wie die Kindergärtnerin mit den Kindern im Nichtschwimmerbecken.

15. Rückfall oder Sanatio?

Der unter Pius XII. ausdrücklich verbotene, jetzt aber auf einmal offiziell vorgeschriebene Brauch, die hl. Messe "versus populum" zu zelebrieren, und der andere Brauch, das Sakrament "sub utraque specie"auszuteilen, für den einst Johannes Hus auf dem Scheiterhaufen gebüßt hat, ist gleichfalls rehabilitiert er ist ja schließlich in der katholischen Tradition einmal vorgekommen - und wird in kleineren Kreisen neugierig und eitel geübt. In den Pfarrkirchen m.W. noch nicht; dort scheut man vermutlich die Umstände und die Kosten des Weinausschanks. Ganz neu aber und dem bisherigen Wesen des Altarssakraments fremd ist der andere neue Ritus, daß zwei oder mehr Priester an demselben Altar im Rahmen einer und derselben Meßfeier im Sprechchor "konzelebrieren". Was soll das? Können zwei Priester miteinander doppelt so glaubwürdig zelebrieren wie einer allein, wird Christus durch zweistimmig gesprochene heilige Wandlung im "heiligen Brot" doppelt so gegenwärtig werden und von doppelt so schwerer Schuld erlösen wie einer? Natürlich nicht. Die Priester sind vielmehr prominente, vorbildliche Gemeindemitglieder, und der fundamentaltheologische Rang der Wandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut des auferstandenen Erlösers wird herabgestuft auf den Rang des Essen-Austeilens, der Rang des Priesters auf den des Diakons, die Erscheinung des Dreifaltigen Gottes im Wunder auf ein vorbildliches Werk menschlicher Barmherzigkeit und Solidarität. Also bringen die Priester auch nicht mehr "in persona Christi" dem angerufenen Gott Vater ein Sühnopfer für die ganze Menschheit dar, die von der anwesenden Gemeinde lediglich vertreten wird, sondern sie gehen als primi credentium (an die Eucharistie, was immer damit gemeint ist) der Gemeinde im Speise-Opfer voran, um sich mit den Anwesenden wenn schon nicht der Gegenwart Gottes, dann doch wenigstens des behaupteten Glaubens an Jesus Christus gegenseitig zu vergewissern, je zahlreicher und je höher gestellt, desto gewisser, wie in einem politischen Demonstrationszug. Diese Karikatur des Neuen Bundes ist es, was offiziell als die große feierliche Form des Altarssakraments an Stelle des jahrtausendalt überlieferten, an die Opfer des Alten Bundes im Tempel der heiligen Stadt Jerusalem anknüpfenden und sie fortsetzenden Meßopfers erwünscht ist, vom Papst zusammen mit anderen Bischöfen gefeiert wird, und von den Priestern, die um persönliche Genehmigung des (angeblich nicht verbotenen) tridentinischen Meßritus nachsuchen, wird gelegentliche Konzelebration mit andern Priestern als Treuebeweis - richtiger: Untreuebeweis - abverlangt, wie einst das Weihrauchopfer vor dem heidnischen Kaiser, weil sich die vorgesetzte Priester-Autorität über die Loaylität der Unterautorität vergewissern muß. Wer sich um Konzelebration drückt, verweigert dem Konzil den Gehorsam, exkommuniziert sich selbst. Müßte aber dieses Urteil nicht vielmehr den Erfinder der Glauben und Erlösung kollektivierenden Neuerung treffen? Nach welcher Logik kann der Neuerer, der den früheren Kult verschmäht, einen authentischen Lehrer des früheren Kults von diesem früheren Kult ausschließen, statt jener den Neuerer, der gegen den hergebrachten verstößt?

Ich habe im Jahr 1970 den Erzbischof Hermann Schäufele in einer eigens gewährten Privataudienz gefragt, warum er der falschen Übersetzung der Wandlungsworte zugestimmt habe. Er antwortete, es habe sich um eine Beschlußfassung der deutschen Bischofskonferenz gehandelt. "Da konnte ich nicht aus der Reihe tanzen." So sagte er wörtlich.

Diese Neuheiten führen vor Augen, wie die scholastische und tridentinische Lehre von der Transsubstantiation schon seit Konzilsschluß - ach nein, seit der langfristigen Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils - abgeschafft ist und aus dem Gedächtnis der Gläubigen vorsätzlich verdrängt wird. Widerrufen ist sie ja nicht; davon hat man noch nichts gehört; aber ernst genommen ist sie auch nicht mehr. Sie soll vergessen werden, weil der neue gemeinsame Glaube die "Andersgläubigen" nicht zu katholischer Einsicht führen, sondern ihren Andersglauben als auch wahr gelten lassen will. Entsprechendes gilt natürlich auch vom "Jusjurandum antimodernisticum", das bis unmittelbar vor dem Konzil den Kandidaten der Priesterweihe als Treuegelöbnis abverlangt worden war, teilweise freilich ohne ordentliche Rechtsbelehrung und ohne ausreichende Bedenkzeit, erst am Tag und zur Stunde der Weihe, also unter Bedingungen, die eine ernstliche Verpflichtung des Gewissens nahezu ausschlossen. Auch diese Verpflichtungen und Verbote und Sanktionen, die dem Priesteramtskandidaten größtenteils genau das verboten, was sich das Zweite Vatikanische Konzil als nötige Reform vornahm und seither durchzusetzen bemüht ist, sind keineswegs aufgehoben und erlassen, nicht kassiert worden, aber verdrängt, verheimlicht und entstellt, der durch das Konzil und seine "Reformen" auferlegte oder nahegelegte Eidbruch ist neglegiert und in radice amnestiert. Da die Laien und auch die Angehörigen der jungen Priester über die Angelegenheit im Allgemeinen nicht unterrichtet waren, konnte die katholische Öffentlichkeit das vulkanartige Wieder-Auflodern der verurteilten Häresie nach dem Konzil nicht als das wahrnehmen, was es ist. Es ist, mit Mt 12,45 zu sprechen, die Rückkehr des vertriebenen Dämons zusammen mit sieben anderen, die schlimmer sind als er.

16. Die Königsteiner Erklärung

Eine ähnliche, für die ältere Generation nicht weniger als die Handkommunion (s.Kap. "Profanierung") unerträgliche Provokation war aber im Jahr 1969 die "Königsteiner Erklärung" der deutschen Bischofskonferenz zur Empfängnisverhütung. Solche war kurz vor dem Konzil durch ein billig verfügbares und gut verträgliches Kontrazeptivum für jung und alt leicht möglich geworden ("Anti-Baby-Pille"). Aus diesem Anlaß verfaßte Papst Paul VI. die Enzyklika "Humanae vitae", die das schon immer gültige und von Pius XI. in einer eigenen Enzyklika ("Casti connubii" 1930) unterstrichene Verbot der Empfängnisverhütung neu ins Gedächtnis rief. Die deutsche Bischofskonferenz aber widersprach dem Verbot, als wäre es vom Papst als privatem Urheber erfunden worden, und stellte Empfängnisverhütung der freien Entscheidung der Eheleute anheim, in ausdrücklichem Widerspruch zur neuen Enzyklika, so daß diejenigen Katholiken, die eheliche Keuschheit bis dahin als Gebot Gottes betrachtet und sich auferlegt hatten, - es war sicher eine Minderheit -, als selbstgefällige Pharisäer und psychisch kranke Schwächlinge dastanden. Kinderreiche Ehepaare wurden schon vordem nicht selten als maß- und verantwortungslose Ausnützer sozialer Hilfsbereitschaft gescholten. Die bürgerliche Gesellschaft pflegt ja unerwünschte Schwangerschaft strenger zu verurteilen als die Unzucht, von der sie erzeugt ist, und Pius XI. wollte die Katholiken daran erinnern, daß die Zeugung eines Kindes keinesfalls ein Unglück, sondern das erfreuliche Gelingen des "ehelichen Akts", der eigentliche Sinn der Ehe ist, und der eheliche Akt überhaupt nur um des möglichen Kindes willen sinnvoll und sittlich zulässig erscheint; und daß auch der gegen die Natur der Geschlechtskraft und der Ehe sündigt, der das Gelingen durch Empfängnisverhütung ausschließen will. Soweit Pius XI. 1930. Aber 39 Jahre später, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, sah man für das Sexualleben der Jugend im Zeichen des Ökumenismus und der Religionsfreiheit das wichtigste Reformziel darin, die hinderlichen Konfessions-Bestimmungen Pius' XI. wegzuräumen. Daß man nun im Zugwind des Kinsey-Reports auch aus der Erleichterung durch die "Pille" so viel Vorteil wie möglich gewinnen wollte, ist verständlich, mochte es auch jetzt wegen der neuen Enzyklika besonders schwierig werden. Daß sich aber nicht etwa kinderreiche Eheleute, sondern zuallererst unreife Heißsporne und blutjunge Mädchen zur Benützung des neuen Pharmazeutikums aufgefordert fühlen würden, wäre vorherzusehen gewesen, hätte man nur das Lebensgefühl der Gesellschaft nicht gar so eng unter dem Gesichtspunkt der "Glaubensspaltung" gesehen (die wahrhaftig nicht die quälendste Sorge der Menschen war), und daß der alsbald folgende auffällige Geburtenrückgang und der gleichzeitig einsetzende Rückgang legaler Eheschließungen und Familiengründungen, und das später daraus entstehende "demographische Problem" und die Krise der nationalen Gesundheits- und Sozialpolitik der europäischen Staaten und fühlbare Schädigungen des sozialen Wohlstands Wirkungen der neuen "Pille" sind, ist offenkundig und wird, wenn auch selten eingestanden, doch nie bestritten. Daß aber die katholischen Bischöfe, die von Amts wegen die Pflicht gehabt hätten, der Unzucht mahnend entgegenzuwirken, im Gegenteil der Versuchung das Wort redeten, das war der in jenen Tagen schwerste mögliche Amtsmißbrauch und begründete eine schwere Mitschuld an den späteren katastrophalen Schädigungen ganzer Nationen. Pauls VI. Enzyklika "Humanae vitae" wurde in bischöflichen Kommentaren nachträglich als "authentisch, aber nicht infallibel" abqualifiziert, was nicht nur dem Papst in einer aktuell wichtigen moralischen Angelegenheit seine amtliche Autorität streitig machte, sondern dem Göttlichen Recht, auf das er sich berufen hatte, seine zeitlose Geltung. Darüber hinaus besagte es, daß auch die authentische Lehre der Kirche als solche nicht immer infallibel sei, daß es also eine Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramts gar nicht geben könne. Also wieder eine fundamentaltheologisch relevante Desinformation des gläubigen Volks und schamlose Mißachtung überlieferter Dogmen und Sitten. Es legt sich der Verdacht nahe, daß die Königsteiner Bischofskonferenz im Grunde den sexuellen Liberalismus der bürgerlichen Gesetzgebung guthieß und im Sinne der modernen Wissenschaft und der pastoralen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils die christliche Verurteilung und Bekämpfung dieses Liberalismus entschlossen aufgeben wollte. So geschieht es ja auch in anderen Anstößen der Sexualmoral (Abtreibung, Ehebruch, Bigamie, Homosexualität), verbindliche pastorale Stellungnahmen werden vermieden. Nach der oben schon mehrfach festgestellten fundamentaltheologischen Relevanz der pastoralen Neuerungen kann diese Haltung nicht erstaunen. Hinzu kommt der unverschämte Widerspruch gegen die Amtsautorität des Papstes, der durch die neuen Autoritätsbestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils möglich geworden und zum ersten Mal entschlossen geübt wurde. Die faktisch offizielle, neuerdings unwiderrufliche Resignation der kirchlichen Morallehre vor den Unsitten der Welt wurde so zur offiziellen Distanzierung - vor dem Konzil hätte man gesagt: zum erklärten Abfall - der Hierarchie vom Glauben an die "vorkonziliare" katholische Kirche und ihre Pastoral. Sittlich gab es danach keinen Grund mehr, sich zur Römisch-Katholischen Kirche zu bekennen und ihre Moral für gut, ihre Lehre für wahr zu halten.

17. Verstoßung der legitimen Erben

Auf der anderen Seite fehlte es jedoch in der ganzen Zeit der Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI.und Johannes-Paul nicht an verstörten und besorgten Gläubigen, denen das Heilige immer noch heilig war. Die fragten anfangs bei den zuständigen Hirten an, protestierten beim Bischof gegen die neuartigen Auslassungen der Prediger und Religionslehrer, meldeten dann, da der Protest auf Beschwichtigung und Zurückweisung stieß, ihre Kinder vom Religionsunterricht ab, schrieben Serienbriefe an Kleriker und an Pfarrämter und an Vereinsfreunde und Zeitschriften, darin auch Offene Briefe und Denkschriften an die Bischöfe, und weil jede angemessene offizielle Antwort ausblieb und die marktbeherrschende Presse, die kirchennahe noch mehr als die kirchenferne, sich gewöhnlich weigerte, kritische Schriften, zumal einfältig religiöse, zu veröffentlichen, gründeten die Dissidenten nach und nach eigene kritische Zeitschriften, in denen sie ihre Kritik und Ablehnung unter Berufung auf bewährte und verehrte Glaubensquellen zum Ausdruck brachten. Angesehenere theologisch gebildete Autoren fanden auch für kritische Bücher Verleger, die ihre Bücher herausgaben und in den Handel brachten, freilich nur für eng begrenzte Interessentenkreise und daher vereinzelt. In den Schaufenstern der katholischen Buchhandlungen, die sich mehr für verlockende Neuigkeiten begeisterten, sah man diese Bücher selten, und die Kundschaft des nicht kirchlichen Buchhandels ist an den religiösen und theologischen Themen ohnehin wenig interessiert, die Wirkung daher eng auf einen kleinen Leserkreis mit bescheidenen Ansprüchen begrenzt, so daß die Gesinnungsgenossen unter sich blieben. Dasselbe gilt freilich auch für die Aktivisten der Reform: Die Hierarchie und die vom Episkopat kontrollierte Gesellschaft läßt sich, wie viel sie sich auch ihrer diversen Dialoge rühmt, auf Diskussion und Korrespondenz mit Konzilskritikern nicht ein. Alle möglichen früher verbotenen theologischen Thesen kann man seit "dem" Konzil anstandslos öffentlich verbreiten und verteidigen und in Gesellschaft diskutieren, ohne Anstoß zu erregen oder auf entschiedenen Widerspruch zu stoßen; nur vor den Fragen derer, die die alten Dogmen der Kirche immer noch gut finden und gegen den "Konzilsgeist" verteidigen, machen Dialog und Ökumenismus grundsätzlich Halt. Warum? Weil diese möglichen Partner im und durch den Staatsstreich des Konzils schon verurteilt sind. Auch daß die von ihnen reklamierten Glaubenswahrheiten immer noch gelten, bestreitet man ihnen nicht, gesteht es ihnen aber nur ungern ausdrücklich. Der Widerspruch gegen die Überlieferung, der die faktische Lehrgewalt usurpiert hat, gilt als einzig legale Pastoral, und der Staatsstreich soll die Macht behalten. Wer also ein vertrauliches Gespräch mit einer geistlichen Autorität sucht, wird freundlich empfangen, väterlich beruhigt und bekommt einen verständnis- und vertrauensvollen Händedruck, aber nur unter vier Augen oder in versteckteren Winkeln des Gebäudes, wo das zufällige Herzukommen eines unerwünschten Zeugen nicht zu erwarten ist; öffentlich und vor Zeugen weicht man ihm aus, oder der Beschwerdeführer erntet für seine Kritik Demütigung wie ein geständiger Missetäter und wird als starrsinniger Friedensstörer diskreditiert. Die neue nachkonziliare Pastoral lebt vom Umdeuten, Vertuschen und Vergessen der abgeschafften unbeliebten Dogmen, aufklärende und belehrende Dialoge sind nicht vorgesehen. Natürlich litten und leiden seither die gläubigen Laien dabei unter ihrem Mangel an akademisch-theologischer Bildung und unter dem Mangel an professioneller Rede- und Schreibgewandtheit, vor allem aber befinden sie sich wegen ihrer Unkenntnis der seit dem Konzil leitenden Reformprinzipien immer wieder in schwerem Nachteil. Wer in die philosophischen und dogmatischen Umerziehungspläne nicht eingeweiht ist und sich in seiner Unschuldsvermutung immer wieder wundert, wird immer wieder zum Narren gehalten, wer aber mit den nachkonziliaren Kompetenzen in dauernder Kommunikation steht, gehört zu denen, die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil herrschen.

18. Sedisvakantismus

Als nun im Jahr 1969 die deutschen Bischöfe der Enzyklika "Humanae vitae" Pauls VI. direkt und öffentlich widersprachen und dieser Widerspruch nicht nur in allen möglichen Presseorganen ausführlich diskutiert wurde und viele Ordensgeistliche und Seelsorger die Stellungnahme bekräftigten und erläuterten, hätte sich endlich auch der Pontifex maximus Paul VI. persönlich und die römische Kurie im höchsten Maß brüskiert sehen müssen. Die ganze Öffentlichkeit erwartete mit einer gewissen peinlichen Beklommenheit die Reaktion seiner Heiligkeit. Aber es erfolgte nichts, Paul VI. ließ sich den Affront und die daraus resultierenden Zweifel und Ärgernisse ohne jede Reaktion gefallen.

Das brachte gläubige Katholiken zu dem Schluß, daß auch der regierende Papst selbst seine Pflicht, Glauben und Sitten zu schützen, sträflich versäume und offenbar selbst nicht an seine Unfehlbarkeit glaube. Hat er aber solche nach irrtumsfreiem Glauben kraft Amtes, wie es das keineswegs widerrufene Dogma des Ersten Vatikanischen Konzils verkündet, so mußte man doch fürchten, daß an dem ganzen momentanen Verhältnis zwischen Papst, Bischöfen und Enzyklika etwas nicht stimmt. Weil die Mahnung der Enzyklika mindestens nach überkommenen Lehren die Wahrheit sagte und zweitens die deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Stellungnahme beharrte, mußte man an der Legitimität Pauls VI. als Papst zweifeln. Sein Schweigen war eine unerträgliche Unterlassung dessen, was seine Amtspflicht gewesen wäre, mindestens irgendwie zu antworten.

In den 70er Jahren sahen sich darum viele Priester und sehen sich auch heute noch überlebende veranlaßt, bei der hl. Messe im Gebet "Te igitur", welches zum Beginn des sog. Canon Missae die Gemeinde umschreibt, die sich in der Bitte um Annahme des Meßopfers verbunden weiß ("nimm wohlgefällig an und segne diese Gaben...Wir bringen sie Dir dar vor allem für Deine heilige katholische Kirche... behüte, einige und leite sie huldvoll, samt Deinem Diener unserem Papst N., unserem Bischof N., allen Rechtgläubigen und allen, die den katholischen und apostolischen Glauben fördern"), nach der Rubrik sede autem vacante ("bei Sedisvakanz") zu verfahren und in dem Satz: "dona...tibi offerimus...una cum famulo tuo Papa nostro N....et omnibus catholicae et apostolicae fidei cultoribus" die Erwähnung des Papstes "Papa nostro Paulo VI." auszulassen und nur zu beten: "cum famulo tuo Antistite nostro N. et omnibus orthodoxis, atque catholicae et apostolicae fidei cultoribus," samt Deinem Diener, unserem Bischof N. usw.". Man nennt sie deshalb "Sedisvakantisten". Laien, die den Zweifel am Papst teilen, wünschen von ihrem Priester, daß er Sedisvakantist sei und nicht "'una cum' zelebriere". Weil aber im öffentlichen Gottesdienst der Novus Ordo Missae überall durchgesetzt und die Tridentinische Messe daraus tatsächlich vertrieben, der Canon Missae also mit seinen Gebeten auf jeden Fall obsolet ist, waren und sind die Sedisvakantisten nur wenige und können ihren Protest nicht öffentlich erkennbar und verständlich machen. Die Presse, nicht nur die kirchliche, unterdrückte fast jede auf traditionalistische Aktivitäten bezogene Meldung, sie wurden "totgeschwiegen", und der Gegenstand ihres Protestes schien infolge der gleichzeitig fortgeschrittenen Verwesung religiöser Allgemeinbildung allgemein vergessen und unverständlich; den Klerikern, die ihn theoretisch kennen und verstehen, scheint der Protest des Sedisvakantismus nicht der Rede wert. Man erwartet, daß der Streit sich durch (inzwischen weitgehend erfolgtes) Aussterben der Kläger von selbst erledigen wird. Josef Krd. Ratzinger, damals Vorsitzender der päpstlichen Glaubenskongregation, soll (sinngemäß) gesagt haben: "Diese Sache kann man ohne besondere Maßnahmen auslaufen lassen." (In der deutschen Politik nennt man diesen Regierungstrick "aussitzen".) Es wurde daher seitens des Hirtenamtes nicht versucht, die Dissidenten zu disziplinieren und zu belehren. Was hätte man auch sagen können? Die Eingeweihten wußten, daß das "Kollegialitätsprinzip" den Widerspruch der Bischöfe erlaubte und einen Einspruch des Papstes verbot, und die Uneingeweihten gingen ganz allgemein davon aus, daß der Papst im und durch das Konzil eine universelle Immunität genieße, d.h. gegen Glauben und Sitten gar nicht sündigen könne, also alles, was er in Fragen des Glaubens und der Sitte zulasse oder gutheiße, von Gott zugelassen oder so wie geschehen gewollt sei. Die überlieferten Bestimmungen und Auslegungen waren eben veraltet und mußten außer Kraft gesetzt werden, sollten doch die Leute, wie gefährdete Töchter von zynischen Müttern gegen Vergewaltigung den zynischen Rat bekommen: "Genieß' es!", das Beste aus der Sache machen. Irgendetwas verhindern oder vermeiden zu wollen ist ja doch zwecklos. Dieses volkstümliche Verdikt war zwar, zumal unter dem Gesichtspunkt des Kollegialitätsprinzips oder gar fundamentaltheologisch, heller Widersinn, der Befehl des Papstes, vom christlichen Glauben abzufallen, kann doch nicht rechtskräftig sein, aber was hilfts. Also übertrugen sich Mißtrauen und Loyalitätsverweigerung der Traditionalisten von Johannes XXIII. und Paul VI. konsequent auch auf Johannes Paul I. und Johannes Paul II., und naturgemäß neuerdings auch auf Benedikt XVI.

Amtsmißbrauch zerstört das Vertrauen der Abhängigen zu dem Amt, und verlorenes Vertrauen entsteht nicht einfach mit der Zeit wieder neu. Wie sollte arrogantes Übergehen, höhnisches Schweigen, Verheimlichen und Unterdrücken, "Aussitzen" und sophistisches Leugnen verlorenes Vertrauen wiederherstellen? Im Himmel wird, so wahr Gott dort ist und nicht nur gerufen wird, die Erinnerung nicht "auslaufen".

19. Protest bleibt unbeachtet

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Natürlich gab es von Anfang an auch geweihte Priester und theologisch Gebildete verschiedenen Standes, die denselben Anstoß nahmen wie die gekränkten Laien. Hatte man einen von diesen unter seinen Bekannten und Freunden, so wurde man in seinen Urteilen bestärkt. Oft fand man dadurch auch Gelegenheit, in einer Hauskapelle an privaten hl. Messen nach vorkonziliarem Ritus ("tridentinische Messe") teilzunehmen. Nur stellte sich schnell heraus, daß solche Kleriker bei der herrschenden Gesellschaft und ihrer Presse nicht mehr vermochten als Laien, und dazuhin noch hochmütiger behandelt, noch erbarmungsloser diskriminiert wurden. Ihre Vorgesetzten und Confratres sparten nicht mit Schikanen und dienstlichen und geschäftlichen Druckmitteln, um ihnen ihr unsolidarisches Verhalten abzugewöhnen; da Zölibatäre gesellschaftlich keinen anderen Rückhalt haben als ihre kirchlichen Amtsbrüder, leiden sie schwer unter der systematischen Ausgrenzung. Sie sind verfemt, sind faktisch exkommuniziert, ohne Prozeß, ohne amtliche Verurteilung und ohne Verwarnung. Dabei ist angeblich die "alte heilige Messe" nicht verboten! Wer sagt, sie sei verboten, wird in einschüchterndem Tonfall zurechtgewiesen. Das Dementi bezieht sich eben auf den Ritus als solchen, dem die Fortexistenz erlaubt ist. Verboten ist nur, den Ritus öffentlich zu feiern. In den 70er Jahren wurde in Frankreich einem alten Pfarrer, dem Abbé Coache, sogar die Fronleichnamsprozession verboten. Wahrscheinlich wurde der Bericht darüber streng dementiert; nur daß die Teilnehmer verleumdet und der Pfarrer, weil er die Prozession seinem Bischof zum Trotz zelebrierte, gemaßregelt wurde. Anderen, insbesondere einem Père Barbara, ging es ähnlich. Aber dank der Treue der Gemeinden erfuhren die beiden voneinander und verbündeten sich; es kam zu gemeinsamen Wallfahrten. Ein Abbé Georges de Nantes, der eine Gesellschaft St.Josèph gegründet hat zu Ehren des französischen Missionars in Marokko, Charles Foucaud, gründete einen Dritten Orden, der zusammen mit der Arbeit der Fratres und Patres eine Monatsschrift "La Contre-Réforme du XXme siècle" herausbrachte, in der er die Konzilsväter des II.Vat.Konzils des Amtsmißbrauchs und der angemaßten Prophetie beschuldigt. Sie hätten sich prophetische Verkündigungen erlaubt, die nicht Aufgabe und nicht Kraft eines Konzils sind. Er hat auch eine Anklageschrift gegen Paul VI., wegen Häresie, Schisma und Ärgernis geschrieben, in der er die Hierarchie auffordert, den Papst abzusetzen, wie es das im Mittelalter tatsächlich und rechtskräftig gegeben hat. Einer Laiengruppe unter seiner Führung gelang es, das Buch bei einer Papstaudienz in Rom dem Heligen Vater auf den Schoß zu legen. In der Presse fand und findet man allerdings über all das nichts, und eine offizielle Reaktion, etwa Verurteilung, gibt es natürlich auch nicht. Die vatikanische Polizei sandte das Exemplar mit der Post an den Verfasser zurück. In den Kirchen fanden sich wohl vielerorts Flugschriften ähnlichen Inhalts. Es war keineswegs so, als wäre die ganze kirchliche Öffentlichkeit mit den herrschenden Zuständen von Anfang an zufrieden gewesen. Aber es ist ganz klar, daß die verantwortlichen Häupter der Kirche, vor allen andern gerade der Papst und seine Kurie, die Glauben und Sitten vor Schaden zu bewahren hätten, die beklagten Dinge so, wie sie waren, mindestens duldeten, trotz gelegentlicher Pannen wie der von "Humanae Vitae", und daß irgendein Rechtsschutz für verleugnete Glaubenswahrheiten gegen den Papst nicht besteht.

Anläßlich der Königsteiner Erklärung waren viele denkende Katholiken nicht umhin gekommen, das pastorale, kerygmatische und liturgische Verhalten der Hierarchie seit dem Konzil als nach göttlichem Recht kriminell und tyrannisch anzusehen. Mochten auch im Kirchenrecht andere Prinzipien gelten als im weltlichen, nach dem in Rechtsstaaten geltenden bürgerlichen Recht, das die Laien gut genug kennen, sind derartige Unehrlichkeiten, Willkürmaßnahmen und Ungerechtigkeiten als schwerer Betrug, Amtsmißbrauch, Untreue und Vertragsbruch immer noch genauso strafbar, wie sie während der Herrschaft vorkonziliarer Disziplin auch in der römisch-katholischen Kirche mit Disziplinarstrafen und Exkommunikation geahndet worden wären. Vor dem Konzil konnten sich aber nur Einzelne in dieser Weise strafbar machen, und so wurden sie denn auch regelmäßig verurteilt. Nach dem Staatsstreich des Zweiten Vatikanischen Konzils tat und tut es der Klerus jedoch in corpore anscheinend auf höchsten Befehl, und war und ist dabei salviert durch einen dogmatisch unfehlbaren öffentlichen und der Universalkirche verkündeten Beschluß des unter Leitung des Papstes versammelten Episkopats. Nach vorkonziliar gültiger Dogmatik war dagegen kein Einspruch möglich, nach bürgerlichem Konkordatsrecht also ebenfalls nicht, und so konnte die staatliche Rechtspflege so wenig wie die kirchliche tätig werden, zumal unter dem Gesetz des prinzipiellen Laizismus staatlicher Behörden eine Religion als solche in ihren eigenen Angelegenheiten gegen ihre eigenen Funktionäre nur sehr prekären Rechtsschutz genießen kann.

20. Erzbischof Marcel Lefèbvre

Anfangs der 70er Jahre ist es trotz allem dem französischen Missions-Erzbischof von Dakar, Msgr. Marcel Lefèbvre, der nach dem Konzil freiwillig in den Ruhestand ging, gelungen, in der Schweiz legal ein eigenes Priesterseminar zu gründen, in der Absicht, seine Alumnen unabhängig von den kirchlichen Behörden nach herkömmlichen Prinzipien auszubilden. Den Ort, Freiburg im Üchtland, wählte er angeblich deshalb, weil die dortige theologische Fakultät noch unverdorben und in Ordnung sei (was immer das bedeuten konnte). Der sachlich ausschlaggebende Grund war jedenfalls der, daß die laizistischen Schweizer Rechtsverhältnisse genau das gewährten, was Marcel Lefèbvre dem Zweiten Vatikanischen Konzil als unerträgliche Konzession an die Häresie vorwarf: Religionsfreiheit. Marcel Lefèbvre wollte Priester ausbilden und weihen, die im bewußten Festhalten an den alten Dogmen und Riten dem Modernismus und Liberalismus des Zweiten Vatikan Konzils, somit eben auch dem Konzilsbeschluß, der in allen katholischen Ländern Religionsfreiheit einführen sollte, widerstehen würden. Die von ihm gegründete "Priesterbruderschaft St.Pius X." hatte, obwohl von der kirchlichen und der weltlichen Presse geflissentlich übergangen und totgeschwiegen, Zulauf, wuchs schnell und gewann Einfluß auf traditionstreue Katholiken. Aber auch dieser Bruderschaft gelang es nicht, im Jurisdiktionsbereich der residierenden Bischöfe öffentlich Sakramente nach traditionellem Ritus zu spenden. Nur in privatem Rahmen, genau wie die oben erwähnten einzelnen Priester in ihren Hauskapellen, konnte die herrschende Hierarchie sie nicht an traditionellen Kulthandlungen hindern, vor allem in Frankreich und eben in der streng laizistischen Schweiz. Da die Dogmen nicht widerrufen und die überlieferten Riten nicht offiziell verboten waren, war den kultischen Aktivitäten des Erzbischofs und seiner Bruderschaft rechtlich nicht leicht beizukommen. Man konnte wohl den Erzbischof nach geltendem Kirchenrecht strafen, ihn von seinem Amt suspendieren und seine Bruderschaft ihre Unerwünschtheit und Verfemtheit spüren lassen; aber dank der Schweizer Religionsfreiheit konnte die Bruderschaft dieser innerkirchlichen Feindseligkeit mit bürgerlichen Mitteln und mittels gesammelter Spenden trotzen. Erst als im Jahr 1988 der greise Erzbischof in Rücksicht auf seine schwindende Lebenserwartung darauf bestand, für die Neupriester seines Seminars auch Weihbischöfe zu weihen, eine als Bedingung eigens für ihn entworfene Loyalitäserklärung jedoch nicht unterschreiben wollte, wurde er von Papst Johannes-Paul II. in aller Form exkommuniziert. Er nahm es unter Protest auf sich, blieb aber bei seiner Ablehnung zweier Konzilsbeschlüsse und vollendete seine Bischofsweihen. "Diesen Bedingungen unterwerfe ich mich nicht, und so soll es auch auf meinem Grabstein stehen!", verkündete er. Er hätte nämlich seine dogmatischen Beurteilungen des Konzils und der nachkonziliaren Kirchenpolitik widerrufen und seine ablehnende Haltung bedauern sollen.

Von seiner dem Papst persönlich gegenüber grundsätzlich loyalen Haltung ließ Marcel Lefèbvre jedoch nicht, zur großen Enttäuschung der katholischen Laien, die sich von ihm eine wirksame Verteidigung gegen die offizielle Diskriminierung der Tradition erhofft hatten. Er ließ sich auf kein Bündnis mit dem Abbé de Nantes ein und schloß die von ihm selbst geweihten Priester sowie die neu bei ihm eingetretenen Priesteramtsanwärter aus der Bruderschaft Pius X. aus, wenn sie sich zum Sedisvakantismus bekannten.

21. Gegenreform in der Sackgasse

So wichtig und erfreulich also das Auftreten des Erzbischofs gegen den Verfall der Moral im Klerus und sein Einsatz für die vorkonziliare Meßliturgie war, so sehr wirkte seine unbedingte Loyalität und seine Zurückweisung des Sedisvakantismus auf die Traditionalisten lähmend, zumal auch der Abbé de Nantes auf die loyale Linie einschwenkte. Keiner von beiden versuchte eine kanonische oder dogmatische Begründung seines Verhaltens, beide verließen sich auf die Annahme, die Mehrheit der Gläubigen halte den Papst für immun (vgl. Kap. "Sedisvakantismus"); letztlich war ihre Loyalität in bürgerlich-rechtlichen, d.h. sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten begründet.

Der verbreitete, vielleicht sogar vorherrschende Atheismus der Gesellschaft sah die neuen Entwicklungen in der katholischen Kirche nicht ohne Schadenfreude und belohnte alle gegen die eigene Religion sündigenden Kirchenorgane mit ungewohnten Freundlichkeiten. Politisch erlebt die Kirche seit dem Konzil statt der Rechtsaufsicht und Strafverfolgung, die ihr wegen ihrer inneren Tyrannei gebührte, eine schon lange nicht mehr dagewesene Blütezeit öffentlicher Anerkennung. Im Urteil der öffentlichen Meinung stehen die Traditionalisten von vornherein auf der schwächeren Seite.

22. Offizielle Glaubensverleugnung

Die Königsteiner Erklärung war nur der auffälligste, nicht aber der einzige Anlaß, bei dem die arrogante Verachtung der "Pius-Päpste" zur Geltung kam. Die weiß Gott unnötige Mietlingstat trieb vielmehr in einem breiten Strom schmutziger Vorkommnisse, denn allenthalben beobachtete man kampflose, unmotivierte Preisgabe wichtiger Glaubenswahrheiten, besonders in Ekklesiologie, Mariologie und Christologie, also auch in der Trinitätslehre. Predigten, Erklärungen im Schulunterricht, improvisierte wie offizielle Texte der neuen Liturgie entfernten sich immer deutlicher nicht nur von den Dogmen, sondern auch vom textkritisch gesicherten Wortlaut der kanonischen Evangelien. Gebildetere Kleriker und Religionslehrer machten sich die Theorien der "Historisch-kritischen Analyse" der heiligen Schrift, wie protestantische Gelehrte sie schon lange treiben, ohne weiteres zu eigen und unterrichteten zum Entsetzen frommer Eltern schon die Kinder konsequent in diesem Sinn. Auch liberal gesonnene, selber abständige Katholiken waren oft verblüfft. Man war teilweise schon während des Konzils so weit gegangen, daß man die historische Faktizität der Wunder Jesu und die Authentizität der "Herrenworte" bestritt und so auch die Einsetzung der Sakramente durch Jesus Christus nur noch als nachträgliche Mystifikation zur Begründung eines in Wirklichkeit erst viel später aufgekommenen Brauchtums betrachtete, und sie auch den Schulkindern so darstellte, in pädagogisch freundlichem Tonfall, wie man ja auch über den hl. Nikolaus, das Christkind und den Osterhasen aufklärt. So fallen aber auch die Sakramente auf die rein menschliche Natur von Folklore zurück, und die "verständliche" neue Form der neuen Liturgie verliert dadurch jede Weihe, bis zur Banalität und Lächerlichkeit. Wird sie dadurch "verständlicher"? Vielleicht, aber die Frömmigkeit der Frommen und der Glaube der Gläubigen wird noch unverständlicher. Sofern man bei den neugestalteten Sakramentsriten einen besonderen Geist für wirksam hält, kann es sich bei dessen ehrfurchtgebietender Heiligkeit nur noch um den arroganten Führungsanspruch der beteiligten menschlichen Gruppen handeln, also um eine gruppendynamisch erzeugte feierliche Stimmung, in der man mit widersprechenden Wortmeldungen zurückhält. ("Lufthoheit" nennt man das heute spöttisch in politischen Diskussionen.) Man hört heute gelegentlich auch von überlegungen der Verantwortlichen, angesichts immer bedrängender werdenden Priestermangels auch Ungeweihte, vor allem Frauen, die Spendung der Sakramente vornehmen zu lassen. So könne man, wird argumentiert, die regelmäßige Spendung der Sakramente auch in einer priesterarmen oder priesterlosen Kirche erhalten. An die Existenz der dritten Person Gottes, die die Kirche vom Pfingstwunder der Apostelgeschichte bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil geleitet hat, glaubt die Kirche des "Zweiten Pfingsten" nur noch sehr bedingt und eingeschränkt, jedenfalls in einem ganz anderen Sinn als früher. Paul VI. hat einmal gesagt, das Zweite Vatikanische Konzil habe denselben Rang wie das erste ökumenische Konzil, das Erste von Nizäa. Wollte er damit, weil ihn jemand an die hypostatische Union Christi erinnert hat, sagen, das Vaticanum löse das Nicaeanum und die davon abhängigen folgenden ab und hebe ihre Dogmen auf? Diesen Vorgang feiert man gelegentlich auch als den Fortschritt der Tradition aus dem christlichen Mittelalter herüber in die Neuzeit, und dieser Traditionswandel könnte für die beiden Nachfolger Pauls VI. im traditionellen Papstamt der Grund gewesen sein, sich begeistert Johannes-Paul zu nennen.

23. Sabotage der Sakramente

Kann das wahr sein? Will die katholische Kirche lieber behauptete Glaubenswahrheiten zurücknehmen als Mitglieder verlieren, lieber Gott erzürnen als ihre treuen Steuerzahler langweilen? Die Kirchenglieder, die schon vor dem Konzil gläubig gewesen waren, können den Glauben, den ihre Geistlichen verkünden, von Unglauben nicht mehr unterscheiden. Die Erläuterung, wieso es eben doch noch dasselbe Christentum ist, hat den Pfarrern eine Zeitlang Mühe und Ärger gemacht. Aber die neue Praxis ist so viel bequemer und unverbindlicher als die alte, und das hat ihnen die Arbeit aufs Ganze gesehen in so überzeugender Weise erleichtert, daß die Kritik verstummt. Die die Sakramente anders gelernt haben, altern und können nicht mehr mitreden, oder sterben aus; die, die sie auf die neue Art gar nicht zu verstehen brauchen, sind unter sich. Mehr werden sie aber nicht.

Die Riten sind modernisiert, und die Gesellschaft auch. Die Wirkung der Sakramente besteht in natürlichen Vorgängen, und der sog. Glaube der Katholiken hat für Protestanten und Agnostiker nichts Verächtliches mehr, es seien denn ehrwürdige und darum noch nicht abgeschaffte Museumsstücke wie das Zölibat und die gelegentlich zugelassene Feier der "Alten Messe". An die Stelle des Bußsakraments tritt eine kollektive Bußandacht einerseits oder ein individuelles vertrauliches Gespräch andererseits, und die Sünden verschwinden aus dem Gewissen. Bei der Vorbereitung zur Erstkommunion wird dementsprechend den Kindern die Erstbeicht erspart, in der Folge auch das schlechte Gewissen in den Einzelfällen des Lebens. Aus der schon lange nicht mehr ignatianischen Seelenführung wird eine psychologische Betreuung (die natürlich keine professionell psychiatrische Geltung beanspruchen und kein Arzthonorar kassieren kann). Mag die Reform insoweit noch als Modernisierung und ökumenisch, d.h. protestantismus- und abständigenfreundlich motiviert sein, so geht doch der tausendfache gleichgültige Verzicht auf die Taufe der Neugeborenen, den ich oben erwähnt habe (Kap. Vernachlässigung), schon über den Rahmen des Ökumenismus hinaus und könnte als allgemein antichristliche Sabotage ausgelegt werden. Ein scharfer Verstoß ganz speziell auch gegen evangelische Frömmigkeit ist die Übersetzungslüge in den Wandlungsworten der "Neuen Messe" von 1970. In den volkssprachlichen Versionen der Wandlungsworte leistet man es sich, im Zitat der feierlichen "Deuteworte" Jesu: "calix sanguinis mei...qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionem peccatorum", die Bestimmung "pro multis" absichtlich sinnverändernd mit "für alle" zu übersetzen. Das kann kein Lateinlehrer ungerügt durchgehen lassen, und man ist damit auch sofort auf Protest gestoßen, nicht nur bei den kompetenten und damals offiziell zuständigen Kardinälen Ottaviani und Baci, die ihre "kritische Untersuchung" auch veröffentlichten, sondern auch bei tausenden gewissenhaften Priestern und Gläubigen, die diesen Schritt der Tradition in eine neuere Zeit nicht mitgehen wollten. Doch über alle diese Proteste setzte sich die kirchliche Obrigkeit ohne öffentliche Diskussion hinweg und setzte die willkürliche Abweichung vom Evangelium mit Amtsgewalt und Machtmitteln durch, ohne sie auch nur einzugestehen, geschweige denn zu begründen. Man will mit der Textänderung ganz einfach die Glaubenswahrheit, daß zu den Vier Letzten Dingen die Hölle gehört, außer Acht lassen und vergessen machen. Die Kritiker, die sich schon bei den ersten Reformschritten düpiert vorgekommen waren, haben deswegen den Novus Ordo Missae schon bei seiner ersten Veröffentlichung Ritus einer willkürlich gestifteten neuen Religion genannt. Dementiert wurde das nicht; man nimmt so einen Einwand einfach nicht zur Kenntnis. Die Kritiker werden schon einmal sterben, und wer zuletzt lehrt, meinen sie, lehrt am Wahrsten. Die Kirche wird mittels bekenntniserleichternder Neuerungen erneuert. So bekommen die treuen Steuerzahler und Spender wenn schon kein ewiges Leben, so doch mehr Lebensfreude und bessere Glaubensqualität.

24. Der neue Glaube

Früher lehrte die Kirche den Weg zum Ewigen Leben. Das ist heute zu primitiv. Man braucht jetzt ein immer neu zu findendes Geheimnis, das durch die unaufhörlich wechselnden Zeitumstände führen muß. Daß die Kirche immer noch von demselben Geist geleitet sei wie früher, muß man der Hierarchie, die als verantwortliche Leitung der Körperschaft öffentlichen Rechts "Römisch-katholische Kirche" das bürgerliche Recht hat, es zu behaupten, eben glauben, auch wenn sie von Zeit zu Zeit ganz andere Akzente setzt als die Vorgängerinstanz es jahrhundertelang tat. Es ist, natürlich, mit einer gewissen lebendigen personellen Fluktuation und Bildungsbewegung, dieselbe Hierarchie, derselbe Klerus, dieselben Pilger, dieselbe juristische Person "Römisch-katholische Kirche", also auch ihr Geist derselbe. Zum Ewigen Leben wird derselbe schwerlich führen wollen.

Die neue Wiedergabe der Deuteworte Jesu über den Kelch in der Eucharistie-Feier dokumentiert, daß die amtliche Liturgiereform den Bericht der Evangelien vom Letzten Abendmahl nicht mehr als gültiges Testament wertet, und die eigenen damals gesprochenen Worte ihres tags darauf dornengekrönten Königs Jesus von Nazareth gar nicht genau wissen will. Nicht, daß sie überzeugt wäre, besser als die Evangelisten zu wissen, was Jesus damals gesagt hat; sie will es gar nicht wissen, denn es geht der Reform nicht um die banale historische Wahrheit. Es geht darum, was die im Namen Christi Versammelten für eigentlich wahr halten sollen, und die Liturgiereform sagt: Er, der im Augenblick der hl. Wandlung "mitten unter ihnen" ist, sagt ihnen mit dem Mund des Priesters: "für alle". Das Zeugnis der Evangelien ist hier nicht gefragt, die Gottesdienstteilnehmer brauchen nicht daran erinnert zu werden, so wenig wie an den Satz des Markus-Evangeliums: "Wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden." (Mk 16,16.) Beim Glaubensakt der Eucharistiefeier darf, ja soll die Gemeinde davon absehen, weil es die tief in die Psyche aufzunehmende neue Glaubenswahrheit stört. Die erneuerte Wahrheit der gläubigen Kirche bekennt: Durch das Blut Christi ist jeder Mensch von Geburt an erlöst und lebt das ewige Leben; es gibt im Glaubensakt keine Verdammten; der Gedanke an solche müßte die dialog- und diskursgebundene existentielle Glaubenserfahrung hinterfragen, und das wäre (bzw. war) kleingläubig und lieblos.

Das umgestaltete Evengelienzitat, das eben kein literarisches Zitat, sondern ein mystisch vergegenwärtigtes, sich im Priestergebet ausdrückendes gemeinschaftliches Miterleben bzw. Miterfahren sein soll, ist allem Anschein nach so zu verstehen. Sicher haben die Liturgisten den Novus Ordo Missae in entsprechenden Veröffentlichungen so oder so ähnlich erklärt. Ich habe selbst genug junge Leute gehört, die von ihrem Religionslehrer oder Seelsorger die Parole gelernt haben, an eine Hölle könne ein gläubiger Christ gar nicht glauben, denn das widerspräche einfach dem Glauben an die Güte und Liebe Gottes. Es wäre also eine empfindliche Störung des mystischen Gemeinde-Erlebnisses, würden in diesem Augenblick alle an die Hölle gemahnt werden. Lieber gesteht der betreffende Glaubenslehrer, (nicht in Worten, aber im Tun), daß er vom Glauben ans Evangelium abgefallen ist, - und nicht nur von dem, auch von jeder anderen Religion, denn wo es kein Leben nach dem Tod gibt, gibt es keinen richtenden Gott, keine Religion und keinen bindenden Eid. In den 70er Jahren einmal hat Papst Paul VI. öffentlich darauf bestanden, daß es entgegen neueren Behauptungen Satan und die Hölle gebe. Aber Paul VI. scheint mit seiner Behauptung nicht ganz durchgedrungen zu sein, denn man hört die Parole, das könne ein Christ nicht glauben, immer wieder. Sie liegt höchst wahrscheinlich der Textfälschung des Novus Ordo zu Grunde. Aber auch wenn die verantwortlichen Liturgisten der Neuen Messe die Textfälschung auch öffentlich schon so erklärt haben, bekennen sie sich doch im Gottesdienst zu diesem ihrem Unglauben immer noch nicht offen in ihrem eigenen Namen, sondern verstecken sich hinter dem Heiland selbst. "Initium sapientiae timor Domini" liest man auf einem gotischen Türbogen nach Ps.110,10 in der Freiburger Herrenstraße, "Anfang der Weisheit ist Gottesfurcht", und im Grunde denselben Gedanken äußert auch nach Epikur der römische Dichter Lucretius (rer.nat.6,50ff.), indem er den Glauben an Götter auf Furcht vor Gewitter zurückführt. Sollte diese Beobachtung so ganz abwegig sein? Was für ein Teufel mag die katholische Geistlichkeit geritten haben, als sie sich davon, ihren Zuhörern die Gottesfurcht auszureden, leichtere Erfolge in ihrer eigenen Glaubensverkündung versprach? Glaubt sie, die ökumenische Christenheit wird statt Gottes nun sie dankbar anbeten (Mt 4,9)?

Wie ist also der Offenbarung spielende Auftritt des NOM-Priesters fundamentaltheologisch zu werten? Schafft er Glaubenswahrheit? Kann man die der versammelten Gemeinde suggerierte Wahrheit so in von Gott selbst offenbarte Wahrheit verwandeln? Etwa weil Jesus gesagt hat: "Tuet dies zu meinem Andenken"?

Gewiß ist: In all den fundamentaltheologischen Fragen, die das Gericht Gottes, Himmel und Hölle und das Ewige Leben betreffen, fühlen sich unsere heutigen Seelenhirten nicht mehr zu treuer Bewahrung des Depositum fidei verpflichtet, da sie im Konzil die Überzeugung gewonnen haben, daß es diese Letzten Dinge nicht gibt und nie gegeben hat. Wo das Evangelium davon spricht, ist es nach Überzeugung des Zelebranten der Evangelist, der irrt, oder der Text ist verderbt, jedenfalls spielen die Vier Letzten Dinge für die reformierte Liturgie keine Rolle. Man hat schon öfter gehört, wie geltend gemacht wird, das moderne wissenschaftliche Denken könne mit diesen Begriffen nichts mehr anfangen, könne sie nicht mehr gelten lassen, weil sie in der rein sensualistisch denkenden und experimentell erfahrenden Erkenntnis der modernen Naturwissenschaften nichts mehr bedeuten; in der lebenden Natur unserer Umwelt aber, die die Schöpfung Gottes ist, offenbart sich Gott, also legt die Naturwissenschaft dem modernen Denken die erste göttliche Offenbarung aus, die in der Schöpfung gegeben ist. Das Zweite Pfingsten wendet sich an dieses moderne Denken, für das es ein Ewiges Leben einzelner Individuen nicht gibt, sagt ihm aber nichts Aufklärendes dazu und korrigiert nichts. Tod und Gericht und Himmel und Hölle sind und bleiben verschwunden. Machen wir uns also, da wir diese spätantik-theologischen Letzten Dinge glücklich überlebt haben, auf modern-metatheologische wunderbare Nachträgliche Dinge gefaßt, die uns in der unendlichen Zukunft der Kirchengeschichte bevorstehen. Seien wir aber deswegen nicht grämlich, sondern genießen wir, solange wir das noch können, die prima Lebensqualität, die uns durch die Religionsreform zuteil geworden ist, vor allem die Befreiung von all den Zumutungen, die die alte Kirche ihren Gläubigen mit den übernatürlichen Offenbarungen auferlegt hat.

25. Ist glaubhaft und glaubwürdig dasselbe?

Aber spinnen wir diese mit Ironie gewürzten Gedanken hier lieber nicht weiter aus. Kommentieren wir lieber noch eine Weile philologisch.

Im Lichte des Neuen zweitpfingstlichen Glaubens, der sich u.a. in der Liturgie der Neuen Messe offenbart, zeigt sich, daß nur Traditionalisten, die ein halbes Jahrhundert theologischen Diskurses verschlafen oder mißachtet haben, den literarischen Bericht vom Letzten Abendmahl als glaubhaftes Zeugnis vom tätigen und redenden Auftreten und Wirken der realen Person Jesus von Nazareth, hier speziell vom authentisch historischen Verlauf des Letzten Abendmahls, noch ernst nehmen. Die offizielle Theologie (jedenfalls die der Liturgiereform) betrachtet die Berichte des Evangeliums als erzähltechnisch gestaltete dramatische Episode eines später entstandenen Christus-Mythos, also als menschlich erfundene Legende. Die Kommission erlaubt sich darum, um glaubhaft zu sein, ein und dieselbe historisch einmalige Wortmeldung Jesu bei verschiedenen Gelegenheiten des kultischen Gedenkens verschieden zu zitieren, je nach dem, ob der lauschenden Gemeinde, etwa in einer Eucharistie-Feier, das mehr mystisch-dramatische Einheits- und Erlösungserlebnis des Letzten Abendmahls vermittelt oder, etwa bei einer Evangelien-Kommentierung für Studenten oder andere Lerngruppen, ein mehr mythisch-episches oder philologisch-analytisches Betrachten derjenigen Evangelien-Szenen geboten werden soll, aus denen die Ur- und Frühchristen sich die Erzählung vom Erdenwandel des Gottessohnes zusammengestellt haben. Dieses changierende Mitteilungsverhalten unserer Glaubenslehrer gebietet den Rückschluß, daß nach Auffassung der Liturgie- und Pastoralreformer auch die Person des Heilands selbst, sowohl in dem Evangelienbericht vom Abend vor seinem Leiden als auch im Bericht vom Missionsauftrag an die Apostel, als literarisch redigiert zu gelten hat und nicht als real identisch mit dem faktischen Leben des sterblichen Menschen Jesus von Nazareth, der in der Vernehmung durch Pilatus von sich gesagt hat, er sei ein König, und dafür am Tag danach mit Dornen gekrönt am Kreuz sterben mußte; mit der Urteilsbegründung: "Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum". (Was Pilatus geschrieben hat, hat er geschrieben!) Der wirkliche historische Stifter des später üblich gewordenen Altaropfers und der wirkliche Berichterstatter vom Missionsauftrag sind aber nach Meinung der Liturgie- und Pastoralreformer keine historisch datierbaren, konkret bestimmbaren menschlichen Individuen, schon gar nicht die vier konkreten kanonischen Evangelisten, sondern das nicht näher umgrenzbare Kollektiv von Aposteln und Gläubigen späterer Jahrzehnte, eine Gesellschaft, die in Diskursen und Debatten Evangelien und Sakramente hat entstehen und sich festigen lassen. Das bezaubernde und jahrtausendelang die Kultur großer Völker bestimmende Werk dieses mutmaßlichen Religionsstifter-Kollektivs ist dann im Rückblick, so vermutet man, dem konkreten selbsternannten Gottmenschen Jesus Christus dankbar zugeschrieben worden. Damit erledigt sich letztendlich auch die Frage nach der Realität von Auferstehung und Himmelfahrt, da der Heiland, Herrscher und Richter Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, zu keinem Zeitpunkt ein konkreter Mensch aus Fleisch und Blut war, sondern eine freudianisch auf eine solche projizierte mythische und literarische Gestalt, die von Propheten und Heiligen verschiedener Religionen in verschiedene, aber in ihrer Meinung konvergierende Mythen als göttliche oder gottähnliche Person adoptiert werden kann und (da das Christentum die beste Religion ist) auch adoptiert werden sollte. Sie muß den Lebensumständen und den bekannt gewordenen Worten und Taten des konkreten Menschen Jesus von Nazareth, der ja unstreitig gelebt hat, nach seinem Kreuzestod angepaßt worden sein, und umgekehrt, die Vorstellung des Jesus von Nazareth wurde dem Heiland Jesus Christus angepaßt. Die Liturgiereform begrüßt die ihr vom Konzil (ad experimentum) gestellte Aufgabe als eine günstige Gelegenheit, den Behauptungen der weithin als unglaubwürdig eingeschätzten christlichen Sage für das anbrechende dritte Jahrtausend eine neue, moderne und glaubwürdigere Fassung und Bedeutung zu geben. Es besteht meiner Einschätzung nach kein Zweifel, daß die verantwortliche Liturgiekommission sich bewußt war, bei vielen verantwortungsbewußten Gläubigen heftigen Protest auszulösen. Sie konnte aber in ihrem eigenen Verantwortungsbewußtsein auf diese zu erwartenden Proteste keine Rücksicht nehmen, wenn die Arbeit der Reform sich nicht um eine nicht leicht abzuschätzende Reihe von Jahren hinziehen sollte.

Tatsächlich ist die neue Fassung des Überlieferungsbestandes vom Letzten Abendmahl nach den Prinzipien der profan-wissenschaftlichen und profanphilosophischen Vernunft wahrscheinlich glaubhaft, sicher glaubhafter als die abschließenden Berichte des Neuen Testaments von der Auferstehung Jesu und der Aussendung der Apostel.

Ist sie aber deswegen auch glaubwürdig? Oder, schlichter gefragt, sollen wir sie ernst nehmen? Läge es nicht näher, die willkürlichen Auslassungen und Umgestaltungen der Reformer als Armutszeugnis des ganzen ökumenischen Christentums zu werten und sich aufatmend der neu gewonnenen laizistischen und atheistischen Religionsfreiheit zu freuen? Man hat ja den Eindruck, daß viele unserer Zeitgenossen das schon längst tun.

Sich an die neuen Gebetstexte und Riten der reformierten Liturgie zu gewöhnen und sie jetzt regelmäßig statt der alten zu hören und mitzusprechen, gibt es in Wirklichkeit keinen anderen Grund als den, daß die öffentlich-rechtlich gültigen Verordnungen der römisch-katholischen Autoritäten das so wollen und für gewisse Personengruppen und gewisse Gelegenheiten gerichtlich erzwingen können. Menschenfurcht wiegt schwerer als beschwichtigte Gottesfurcht. Dagegen, die neuen Texte wirklich lieber zu glauben und als Gottes Wort zu nehmen, schließlich dafür auch mehr Steuer- und Spenden- und sonstiges Geld zu opfern als für das, was meine eigenen Religionserzieher zwar anspruchsvoller, aber am Ende eben so oft vergeblich vorgebetet haben, sehe ich für mich überhaupt keinen Grund. Im Gegenteil, ich fühle mich in meiner christlichen Frömmigkeit gekränkt. Wenn sie nun schon die Liturgie ihrer Amtsvorgänger, die ich für gut gehalten habe und die ganze Christenheit einhellig für gültigen Verkehr mit Gott halten sah, als pastoral fragwürdig und ihr darin vorgetragenes Glaubensbekenntnis als profanwissenschaftlich unglaubwürdig hinstellen, als wie viel fragwürdiger und unglaubwürdiger wird dann das Christusbild der am Schluß des zwanzigsten Jahrhunderts so trickreich modisch zurechtgemachten Ritenüberlieferung dastehen? Und warum sollen, Husserl-Heidegger hin, Rahner-Vorgrimmler her, unsichere Gläubige und klar denkende Ungläubige eine durchsichtige Textkontamination kritikloser hinnehmen als eine zwar nicht für jedermann glaubhafte, aber doch immerhin textkritisch und lexikalisch richtige Übersetzung eines gut überlieferten konkreten, seit Jahrhunderten kanonischen Textes? Die früher verbreiteten Latein- und Griechischkenntnisse sind zwar in der Allgemeinbildung seltener geworden, aber doch immer noch in ausreichender Verbreitung vorhanden, und die Menschen sind an religiöser Kultur immer noch interessiert genug, historische Texte zu lesen, zu studieren und zu vergleichen, insbesondere angebliche Übersetzungen mit ihren Vorlagen. Lat. multi, gr. polloi, hebr.rabbim heißt nun einmal "viele" und nicht "alle"; das ist kein rhetorisch-stilistischer, sondern ein existentiell erfahrbarer, in allen Sprachen der Welt bekannter und anerkannter Unterschied, weil jedes Kind weiß, daß seine vielen Klötzchen und Plätzchen nicht alle Klötzchen und Plätzchen sind, die es auf Erden gibt, und alle seine Spielkameraden nicht viele sind. Andererseits kann daran, daß Jesus von Nazareth vor seiner vorhergesehenen Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung eine letzte gemeinsame Mahlzeit mit seinen Aposteln gehalten und dabei das gemeinsame Dankgebet gesprochen hat, kein ernsthafter Zweifel bestehen. Das Dankgebet hatte aber nur einen einzigen konkreten, in jener Minute erklungenen und für immer unveränderlich verhallten Wortlaut. Könnte es dann nicht, wenn wirklich niemand mehr den authentischen Wortlaut weiß und er jedem Gedächtnis der Gläubigen unwiderruflich entglitten sein sollte - wer weiß denn, ob das der Fall ist? - und es für eine mystagogisch brauchbare Rekonstruktion nur auf eine glaubwürdige Phantasieerfindung ankommt, könnte es dann nicht wirklich auch so gewesen sein, daß der selbsternannte Judenkönig und verurteilte Gotteslästerer Jesus von Nazareth, der tags darauf am Kreuz verblutete und am dritten Tag danach vielleicht doch nicht aus seiner unverbrauchten materia prima auferstanden ist, am Vorabend seiner Hinrichtung gesagt hat: "Das ist mein Blut, das zur Strafverbüßung für alle vergossen wird", und damit sagen wollte, daß dank seiner spektakulären Hinrichtung die Jünger nichts mehr zu befürchten hätten, weil sie vom Hohen Rat als persönlich nicht strafbare Mitläufer oder "Trittbrettfahrer",wie man heute sagt, amnestiert, jedenfalls nicht bis ans Ende der Welt verfolgt würden? Und daß die in den Evangelien berichtete dreimalige Glaubensverleugnung des Apostels Simon Bar Jona von einem verbliebenen Zweifel an dieser Amnestieverheißung veranlaßt war, seine späte Reue beim Hahnenschrei jedoch später hinzugefügte Mystifikation eines Evangelienredaktionskommittees? Die Erzählung der Liturgen des als regulär verordneten Novus Ordo Missae läßt sachlich auch diese Deutung durchaus zu, zumal die Verfasser den banal-historischen Wortlaut nicht bezeugen wollen. Nur erklärt dieses entweihte, humanisierte und banalisierte Verständnis nicht die in der archaischen und klassischen katholischen Kirche erfolgten theologischen und sozialen Reaktionen. Die Folge der Ereignisse wäre eine rein zufällige gewesen, denn auf den in der Neuen Messe rezitierten Wortlaut der Kelchdeutung hätte niemand eine Kirche erfolgreich einschwören können. Wozu denn überhaupt eine Kirche, wenn der Satz doch für alle gilt, auch wenn die es nicht einmal alle wollen! Eine verschworene Gemeinschaft muß exklusiv, nicht kollektiv sein und muß aus verantwortlichen Personen bestehen, die sich jede für sich entscheiden müssen. Darum beweist nicht nur die Überlieferung, sondern auch die unleugbare Wirklichkeit der Kirche, daß beim Letzten Abendmahl unser Herr Jesus Christus den Kelch gesegnet hat und sinngemäß gesagt hat "für euch und für viele", und dabei auch die Konsequenz "wer aber nicht an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht dazugehören" für die banal-historisch unmittelbar folgenden Ereignisse bis zu ihren fernsten Folgen im Sinne gehabt hat. Man bedenke dazu auch die Strafankündigung an den Verräter im selben Zusammenhang.

26. Das Linsengericht

Es ist nicht verwunderlich, daß immer weniger junge Männer Priester werden wollen. (Und, nebenbei gesagt, es ist auch nicht verwunderlich, daß viele Traditionalisten nicht verstehen, was der Erzbischof Lefèbvre gegen Religionsfreiheit hat, die er doch selbst so auffällig genießt, und sein Interdikt gegen die Sedisvakantisten, das er ohne Zuständigkeit gesprochen und nur rhetorisch begründet hat, nicht anerkennen können.) Die Entscheidung der Liturgiereform gegen den von drei Evangelien bezeugten Wortlaut "für viele" (Mt 26,28, Mk 14,24, Lu 22,20), und die absichtliche Verfälschung in: "für alle", ist, wie auch immer begründet, eine unsägliche Torheit. Die Liturgiereformer offenbaren damit freiwillig oder unfreiwillig, daß sie für die katholische Religion und ihre Sakramente Glauben, Liebe und Hoffnung nicht aufbringen und sie darum auch anderen denkenden Menschen nicht zumuten wollen, daß sie überhaupt den katholischen Glauben, wie er vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil kodifiziert war, nicht predigen und nicht verteidigen wollen. Kennen sie ihn überhaupt noch? Wer sie daran erinnert, bekommt von ihnen nur Seufzer gelangweilter Geringschätzung zu hören.

Ein Priester, der bei der hl. Wandlung das gefälschte Zitat verkündet, gibt für das Linsengericht profan-philosophischer Eitelkeit die Erstgeburt christlicher Spiritualität preis, weil die ihm nicht schmeckt. Ist er gläubiger Christ, dann verleugnet er

1. seinen eigenen Glauben, daß der Menschensohn Jesus Christus so, wie in den Evangelien bezeugt und von den Heiligen der Kirche überliefert wird, unter den Menschen erschienen ist;

2. daß er diese Selbstoffenbarung Gottes dankbar und voll Liebe, oder wenigstens Ehrfurcht, anbetet;

3. erweckt er den Eindruck, daß er die Auferstehung der Toten in einem Leben der zukünftigen Welt nicht, wie er im Credo behauptet, wirklich erwartet, ja ein Leben seiner Seele nach dem Tod nicht einmal wünscht und das Gericht Gottes über sie nicht fürchtet. Tut er das doch, so muß er fürchten, daß die ebenso unsterbliche Seele des Jesus von Nazareth ihn im Jenseits für die falsche Bezeugung der Deuteworte über den Kelch vor Gott anklagen - oder bei seiner Wiederkehr als Richter persönlich die Untreue verdammen wird. Er scheint aber, wie sehr er gleich danach behauptet, die Auferstehung Christi zu preisen, nichts dergleichen zu fürchten.

Ja, er wird wahrscheinlich sogar die Gottesfurcht der andern Anwesenden eher beschwichtigen als erwecken wollen und sich lieber dem Verdacht aussetzen wollen, die Verehrung des ewigen Schöpfers als schönen Stiftungsmythos eines ehrwürdigen Lebens-, Tier- und Elementekultes zu verstehen, als dem, die Wunder Jesu allzu naiv für wahr zu halten. Wäre ihm wirklich der Gedanke, daß er dereinst zusammen mit allen anderen Spuren seines eigenen Daseins im Erdboden spurlos verschwinden wird, ohne Lohn für gute Taten erwarten und ohne Strafe für böse Taten fürchten zu müssen, gegen Vorwürfe wegen falscher Zeugnisse und wegen Nichtbefolgung amtlicher Vorschriften vollends immun, so ganz unerträglich?

Also tilgt der Priester im Deutewort über den Kelch vom "Geheimnis des Glaubens" nicht nur den unmittelbaren, verbalen Ausdruck, sondern auch das Geheimnis selbst, den Gegenstand des christlichen Glaubens, Jesus Christus, den vom Heiligen Geist empfangenen und aus der Jungfrau Maria geborenen Menschensohn, die eigene spontane Anbetung, die ihm verbieten müßte, die Worte anders zu sagen als sie auch ihm überliefert sind, und löst die sittliche Verbindlichkeit, die "religio" als solche, ganz und gar auf, indem er die Strafdrohung für Ungläubige kassiert und der Religion die Ewigkeit raubt. Der vorkopernikanische Himmel stürzt ein, die Erde Goethes hat uns wieder.

Ist das die nötige Neubesinnung? War das gemeint bei der Ankündigung einer großen Pastoral- und Liturgiereform?

Die Kirche ist heilig. Fehlerhaft und schlecht sind die Menschen, denen die Kirche fehlerhaft scheint. Wenn im Leben der Kirche etwas nicht stimmt, müssen die Menschen sich ändern, weil sie der Kirche nicht genügen; nicht umgekehrt. Elisabeth Gerstner ist über solche Versuche schon gleich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Zorn entbrannt: "Man reformiert die Kirche nicht!", schrieb sie in allen Sprachen und allen Zeitschriften, die es veröffentlichten, und gründete die "Katholische Traditionalistenbewegung", die in allen katholischen Ländern "Meßzentren" gründete, wo auf private Initiative und mit privaten Mitteln Kapellen eingerichtet wurden, in denen gleichgesonnene Priester Gelegenheit bekommen, die Heilige Messe nach herkömmlichem Ritus zu zelebrieren. Im Lauf der 70er und 80er Jahre wurden die meisten dieser Einrichtungen durch die Priesterbruderschaft Pius X. in usurpierter Vollstreckung des Interdikts wegen Sedisvakantismus auf Grund intriganter Ermittlung (Verdacht genügt) und kollektiver Verurteilung (ohne Vernehmung der betroffenen Personen) feindlich übernommen. Versorgung und Haushalt der gespendeten Kapellen bleiben zunächst unverändert, Meinungen der Gläubigen desgleichen, aber Religionsfreiheit für alte Priester, die zwar tridentinisch zelebrieren möchten, aber nicht Mitglieder der Priesterbruderschaft Pius X. sind, gibt es auch dort nicht mehr.(Vgl. dazu Kap. Marcel Lefèbvre)

27. Nachwort 2010

Im Januar 2007 hat unser Heiliger Vater, Papst Benedikt XVI. angeordnet, die Wandlungsworte in der korrigierten Übersetzung, das heißt mit den Worten "pro multis", "für viele" zu beten. Am 7.7.2007 hat Papst Benedikt auch noch andere Gesten zu Ehren des traditionellen Meßopfer-Ritus folgen lassen. Das weckte die Hoffnung, daß Se. Heiligkeit weitere Schritte zur allmählichen Bereinigung der herrschenden theologischen Unstimmigkeiten anordnen wird.

Leider hat er aber als den regulären Ritus weiter die Meßfeier nach dem Novus Ordo Missae angeordnet, und in dieser täglich vollzogenen Verdrängung des überlieferten Ritus des heiligen Altarssakraments durch experimentierende Erprobung eines neuen, gruppenpsychologischen Kultspiels besteht die eigentliche und grundsätzliche Entehrung der alten echten Liturgie. Ein Ritus ist kein ballettähnliches Gesellschaftsspiel und keine Geschmacksache und will nicht als psychagogisches Instrument angewendet oder als Vergnügen genossen werden, sondern gelten. Leider ist auch noch nicht sicher, ob die angeordnete Wiederherstellung der Wandlungsworte befolgt wird. In einer Messe nach dem neuen Ritus, bei der ich anwesend war, sagte der Zelebrant ungeniert "für euch und für alle", als wäre seit der Textfälschung nichts geschehen, für einen anderen Pfarrer, nach dessen Verhalten ich mich erkundigt habe, gilt dasselbe, und eine offiziell zugelassene und veranstaltete hl. Messe nach tridentinischem Ritus, an der ich teilnehmen konnte, wurde von einem alten Priester zelebriert, der dem Ritus offensichtlich schon lange entwöhnt war und Text und Melodien nicht mehr sicher beherrschte. Er sei, hieß es, im Jurisdiktionsbereich der Diözese leider der einzige infrage kommende Zelebrant gewesen. Das liegt daran, daß er der einzige war, der als Regel die Neue Messe angenommen hatte und darin jederzeit mit anderen Priestern des Neuen Ritus zu konzelebrieren bereit war, obwohl er die tridentinische Messe für schöner, besser und wahrer hielt. Man wird daher verstehen, daß ich, der ich die sog. Liturgiereform für einen Staatsstreich und die Neue Messe für ein in seinem Wesen sündhaftes, in der Wirkung längst mißlungenes Experiment halte, meiner christlichen Sonntagspflicht einstweilen sicherer bei derPriesterbruderschaft St. Pius X. nachkomme, die die tridentinische Messe nicht nur zuverlässig und sachkundig, sondern auch gläubig zelebriert (vgl. Lk 10,29: "Wer war also sein Nächster?").

Im selben Jahr, in dem der Papst die irreführende übersetzung der Wandlungsworte rügte, aber den korrigierten Ritus nicht überall wiederherstellte, vernahm man auch gerüchtweise, daß die Königsteiner Erklärung vom Vatikan mißbilligt und Widerruf gefordert worden sei. In Deutschland ist mir aber keine amtliche Verlautbarung dieses Inhalts vor Augen oder zu Ohren gekommen. Stimmt es, dann geht der ganze "Sedisvakantismus" zu Lasten der Deutschen Bischofskonferenz, genau wie der ganze etwa hie und da zu weit gehende Traditionalismus in Deutschland im Grunde zu Lasten des Novus Ordo Missae geht.

Der Gedanke, daß die heilige Kirche als ganze einer fortwährenden Selbstkorrektur und Renovierung bedürfe und nach einer solchen wieder mehr Menschen bekehren und zum ewigen Heil führen könne als mit Glaubenspredigt herkömmlicher Art, ist schon seit Jahren durch gegenteilige Erfahrung widerlegt, wird aber trotzdem nicht auszurotten sein, denn er ist satanisch (vgl. Mt.4,7), und Satan ist unsterblich. Die Unbefleckte zertritt ihm den Kopf, und die Sonne, in die sie gekleidet ist (Off.12,1), ist weder aus Blech noch aus Stein noch sonst ein geschnitztes Bild in einer Kirche, sondern die unübersehbare Erscheinung der Schönheit, Güte und Wahrheit Gottes.

28. Welchen Glauben sollen wir bekennen?

Neuestens (ca. 2010) fordert nun Papst Benedikt XVI. die Katholiken auf, sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen. Wie sollen wir das machen? Noch mehr Kritik und Polemik produzieren, Flugschriften, Serienbriefe und Offene Briefe schreiben, Bücher? Beim Bischof vorsprechen? Vereine gründen? Wir katholischen Traditionalisten des 20.Jh. machen das schon seit vierzig Jahren, aber immer scheint unser traditionsgebundenes Glaubensbekenntnis das einzig mögliche zu sein, das unsere geistlichen Oberen, sofern sie es wahrnehmen, von vornherein für falsch halten. Wir kommen nicht über das Eine Pfingsten hinweg! Wir Traditionalisten brauchen kein, wollen kein zweites. Wir boykottieren die konziliare Liturgiereform so widerspenstig wir können, weil wir sie in radice für Unfug halten und als Verdunkelung des Glaubens erleben. Der Boykott des Novus Ordo Missae ist unser Glaubensbekenntnis, und das kann schon vor einem Vierteljahrhundert dem damaligen Vorsitzenden der päpstlichen Glaubenskongregation Josef Kardinal Ratzinger nicht entgangen sein.

Es gibt freilich auch andere Forderungen, die zum Ärger ihrer katholischen Vertreter vom Heiligen Stuhl nicht erhört werden. Man fordert im Namen des Ökumenismus Zulassung evangelischer Christen und geschiedener und wiederverheirateter katholischer Eheleute zur hl. Kommunion und von Frauen zur Priesterweihe, man fordert Aufhebung des Zölibats der Priester und ausdrückliche Toleranz von Abtreibung der Leibesfrucht und von "verbrauchenden" Forschungsexperimenten mit Embryonen. Die dogmatische Verurteilung der Empfängnisverhütung als schwerer Sünde stellt man jetzt als ein willkürliches Verbot des Papstes, beim Geschlechtsverkehr Kondome zu verwenden, dar, hält überhaupt nicht mehr den Mißbrauch der Geschlechtskraft für Unzucht und verwerflich, sondern nur noch die dazu gegen den Partner angewendete körperliche Gewalt, betrachtet Jungfräulichkeit als Unreife, das Versprechen des Ewigen Lebens bekräftigt man nicht mehr, man verteidigt als Höchstes Gut nur noch das Leben - natürlich das zeitliche, insbes. das sexuelle, das manche an die Stelle der göttlichen Tugend Liebe rücken -, die Heilsbotschaft an die Menschheit ist auch in päpstlichen Ansprachen in der Regel auf die sog. Menschenrechte reduziert, und daneben läuft eine unverbindliche und naturnotwendig endlose Religionsdebatte, die vielleicht nach den Prinzipien phänomenologischer und existentialistischer Philosophie für das wirkliche Organ jeder als göttlich angesehenen Offenbarung gilt. Die älteren und alternden Gläubigen, die die sich stetig neu aktualisierende sog. Tradition in immer wieder neuen Versionen mitvollziehen sollen, halten sich mit Kritik zurück, in der Hoffnung, irgendwann einmal zu verstehen. Sie hätten gerne ein paar klärende Worte über dieses und jenes Ärgernis der letzten Jahrzehnte gehört, vielleicht auch einmal einen klärenden Hinweis auf die Quelle der jeweiligen neuen Offenbarung, finden sich aber allmählich mit dem Dahinschwinden ihrer christlichen Hoffnung ab. Die deutschen Bischöfe verfolgen den überlieferten Ritus der Hl. Messe mit Haß und Verachtung, sie neiden ihm die Liebe der letzten Gläubigen und, wie es scheint, den letzteren die Gnade der Sakramente, d.i., wie ich einst im vorkonziliaren Katechismus gelernt habe, die dritte der sechs Sünden gegen den Heiligen Geist, die in Ewigkeit nicht verziehen werden. Aber eine solche Drohbotschaft des abgeschafften Schulkatechismus kann natürlich nur klassisch-fundamentaltheologisch und nicht pluralistisch-humanitär gelten und kümmert Bischöfe nicht, die sowieso nicht im naiven Wortsinn "ewig leben" wollen. Gegen den Zorn des Heiligen Geistes halten sie sich für kraft Amtes immun. Brauchen sie unsere Verzeihung? Sie verzeihen uns (sagen sie), und das sollten wir ihnen (meinen sie), danken. Um ihr Seelenheil haben sie keine Angst, um unseres allenfalls solange es sich auf Erden abspielt.

Der Heilige Vater, der nun wissen will, was die Gläubigen trotz allem noch glauben, richtet sich mit seiner Bitte um Glaubensbekenntnisse gewiß nicht an Traditionalisten. Er hat die Kenner und Liebhaber der Tridentinischen Messe nicht exkommunizieren wollen, sondern, selbst wenn sie Anhänger des Erzbischofs Lefèbvre waren, zum Befremden der deutschen Hierarchie ausdrücklich rehabilitiert. Dafür sei unserem Heiligen Vater gedankt, und bei dieser Gelegenheit noch einmal gesagt, was wir von ihm sehnlich erwarten: Wir bitten ihn von Herzen und, wie wir glauben, auch in seinem persönlichen Interesse und im Namen der ganzen Leidenden, Streitenden und Triumphierenden Kirche, seine unverlierbare heilige Schlüsselgewalt wahrzunehmen und der eitlen Philosophie- und Liturgieexperimentiererei ein Ende zu machen. Mit dem Beistand des Heiligen Geistes kann er das. Adiutorium nostrum in nomine Domini, qui fecit caelum et terram! Amen.